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Karl der Dicke beißt sich durch

Karl der Dicke beißt sich durch

Titel: Karl der Dicke beißt sich durch
Autoren: Werner Schrader
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sich ja noch werben, aber für Bügeleisen und Eichentische fallen dir bestimmt keine wirksamen Sprüche ein.“
    „Was du nicht sagst!“ rief Karl. „Wenn ich mit Guddel ‘ne halbe Stunde zusammenhocke, brutzeln wir so umwerfende Gesänge zurecht, daß kein Auge trocken bleibt. Warte ab, du wirst es erleben!“
    Karl hatte nicht zuviel versprochen. Guddel waren in Dichterlaune eine Menge schmissiger Verse eingefallen, und er, Karl, hatte auch einiges zusammengestoppelt. Selbst Egon, der natürlich nicht wortlos dabeistehen wollte, wenn seine beiden Freunde ihre Lobgesänge schmetterten, hatte die Dichtkunst bemüht. Darum waren sie ihres Verkaufserfolges recht sicher, als sie mit Frau Genslers alten Möbeln und den anderen Schätzen schon um sieben Uhr morgens gegenüber der Martini-Kirche auf dem Gehweg standen. Die sechs Mark Gebühr hatten sie schon bezahlt, und Herrn Hanik, der ihnen mit seinem kleinen Lastwagen die Sachen in die Stadt gefahren hatte, hatten sie eine Flasche Weinbrand und eine Kiste Zigarren geschenkt.
    Ringsum beschäftigten sich Erwachsene und Kinder, die fast alle so bunt gekleidet waren wie die Dinge, die sie verkaufen wollten, emsig damit, ihre Stände aufzubauen. Zwei dunkelhäutige Männer aus Indien breiteten seidene Tücher aus Kaschmir in allen Farben auf einem Tisch aus. Ein Bauer bot eine ganze Kutsche samt dem dazugehörigen Pferd zum Kauf an. Drei Jungen stapelten sämtliche Mickymaus-Hefte, die sie im Laufe ihres zwölfjährigen Lebens gesammelt hatten, um sich herum auf. Mädchen verkauften Puppen und Puppenwagen, aber auch Lesebücher, die sie nicht mehr brauchten, zu klein gewordene Schuhe, Mäntel, Pullover und andere Kleidungsstücke. Die Bastler unter den Händlern umgaben sich mit dem Werk ihrer Hände. Da sah man selbstgetöpferte Krüge, hölzerne Buchstützen, kleine Gemälde und Tuschzeichungen, Emaille- und Laubsägearbeiten, gestickte Schürzen und geschnitzte Handpuppen. Auf Tischen, Hockern, Stühlen, Brettern oder einfach auf den Fliesen des Weges und der Straße standen und lagen Papierblumen, Abziehbilder, Dreiräder, Kinderspielzeug, Vasen, Blumenständer, Kerzenhalter und Krempel aller Art. An einer Stelle waren Hunderte von Turnschuhen, paarweise zusammengebunden, zu einem mannshohen Berg auf das Pflaster gekippt worden. Eine junge Frau stand daneben und pries sie an. Zwischen den Verkäufern, den kleinen und großen, den erfahrenen und den hilflosen, den geschickten und den ungeschickten, liefen mehr und immer mehr Kauflustige herum, schauten, befühlten, fragten, lachten und feilschten um die Preise. Kein Basar im Orient konnte bunter und fröhlicher sein als dieser Flohmarkt. Karl der Dicke und seine Freunde hatten das rote Plüschsofa, die beiden Sessel, den runden Eichentisch und die Kommode zu einem Wohnzimmer im Freien zusammengestellt. Auf dem Tisch hatten sie die Schreibmaschine, die Bügeleisen, die Bücher, die Bibel, die Delfter Fliesen, die Ledertaschen und die Pferdepeitsche verlockend angeordnet. Die Wandbilder lehnten links und rechts neben dem
    Sofa und an der Rückseite der Sessel. Hinter dem Sofa, in einem Nebenraum gewissermaßen, standen die Zinkbadewannen. In einer von ihnen wehte, von Karl geschickt mit einigen Ziegelsteinen befestigt, die Schützenvereinsfahne. Der Kleinkram, die Behälter für Mehl, Zucker, Zimt und die Nippesfiguren befanden sich auf der Kommode.
    Ihr Verkaufsstand wirkte sehr einladend. Besonders ältere Herrschaften, die vom vielen Laufen müde Beine hatten, konnten der Verlockung der bequemen Sitzmöbel nicht widerstehen und nahmen gern für eine Weile in einem der Sessel oder auf dem Sofa Platz. Darauf hatte Karl spekuliert und eigens einen Vers dafür geschmiedet. Sobald eine ältere Frau oder ein älterer Mann sich ihrem Stand näherte, begann er mit lauter Stimme zu deklamieren!
„Herbei, ihr Leute, eilt herbei!
Seht doch, der Sessel ist ja frei!
Laßt fallen rein das Schwergewicht,
der hält das aus, der krachet nicht!
Und findet ihr ihn warm und weich,
kauft ihn und nehmt ihn mit sogleich!
Weil Sie es sind, weil du es bist,
für zwanzig Mark er deiner ist!“
    Egon hatte sich in den Kopf gesetzt, die Schreibmaschine zu verkaufen. Immer, wenn jemand davorstand und sie betrachtete, sang er zu einer selbstkomponierten Melodie: „
Auf dieser berühmten Maschine,
da tippte einst Fräulein Malwine.
Sie tippte zwei kraus und zwei schlichte
bei Talg- und Petroleumlichte.
Und wär’ sie nicht tot längst, ihr
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