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Kapitän Singleton

Kapitän Singleton

Titel: Kapitän Singleton
Autoren: Daniel Defoe
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mildtätige Gesinnung hin, und als
ich mich entschloß, sie zum Gegenstand meiner ersten Wohltat
zu machen, zweifelte ich nicht daran, daß ich mir selbst damit
eine Art Zuflucht erkaufte, eine Art Ziel, dem ich mich in
meinen künftigen Handlungen zuwenden konnte; denn ein
Mann, der einen Lebensunterhalt, jedoch keinen Wohnort und
keinen Platz hat, der eine magnetische Kraft auf seine Gefühlsbindungen ausübt, befindet sich in einer der ungereimtesten,
unsichersten Lagen, die es gibt, und all sein Geld hat nicht die
Macht, ihn dafür zu entschädigen.
Wir blieben also, wie ich dem Leser bereits mitteilte, mehr
als zwei Jahre in Venedig und dessen Umgebung, in höchstem
Maße unentschlossen und zutiefst voller Zweifel und Unrast.
Williams Schwester drang täglich in uns, wir sollten nach
England kommen, und wunderte sich, warum wir nicht wagten,
ihr zu vertrauen, die wir sie doch so sehr verpflichtet hatten,
uns ergeben zu sein, und sie beklagte sich gewissermaßen
darüber, daß wir sie verdächtigten.
Endlich begann ich nachzugeben und sagte zu William:
„Höre, Bruder William“ (denn seit unserem Gespräch in Basra
nannte ich ihn Bruder), „wenn du mir zwei oder drei Dinge
zugestehst, werde ich von Herzen gern mit dir nach England
heimkehren.“
William erwiderte: „Laß mich hören, welche.“
„Nun, als erstes darfst du deine Identität keinem anderen
deiner Verwandten in England enthüllen als nur deiner
Schwester – nein, nicht einem“, sagte ich. „Zweitens werden wir uns unsere Bärte nicht abrasieren“ (denn wir hatten uns die ganze Zeit über auf griechische Art Schnurr- und Backenbärte stehenlassen) „und auch unsere langen Überröcke nicht ablegen, damit man uns für Griechen und Ausländer hält. Drittens wollen wir in der Öffentlichkeit vor keinem Menschen jemals englisch sprechen, mit Ausnahme vor deiner Schwester. Viertens wollen wir stets zusammenleben und als Brüder
gelten.“
William erklärte, er werde all dem aus vollem Herzen zustimmen, nicht englisch zu sprechen aber werde das schwerste
sein, er wolle jedoch auch hierin sein Bestes tun; mit einem
Wort, wir kamen überein, uns von Venedig aus nach Neapel zu
begeben, wo wir eine große Geldsumme in Seidenballen
umsetzten; wir ließen einen erheblichen Geldbetrag in den
Händen eines Kaufmanns in Venedig und einen zweiten,
ebenfalls beträchtlichen, in Neapel und nahmen auch Wechsel
über eine große Handelstransaktion auf, und doch kamen wir
mit einer solchen Warenladung nach London, wie es schon seit
Jahren nur einige amerikanische Kaufleute getan hatten, denn
wir beluden zwei Schiffe mit dreiundsiebzig Ballen doppeltgezwirnter Seide und dreizehn Ballen gewirkter Seide aus dem
Herzogtum Mailand, die wir in Genua an Bord nahmen. Mit all
dem gelangte ich ohne Zwischenfall nach England und
heiratete einige Zeit später meine treue Beschützerin, Williams
Schwester, mit der ich glücklicher lebe, als ich es verdiene. Und jetzt, nachdem ich dem Leser so offen mitgeteilt habe,
daß ich nach England gekommen bin, und so kühn gestanden
habe, welches Leben ich im Ausland geführt habe, ist es Zeit
für mich, meinen Bericht abzubrechen und vorläufig nichts
mehr zu sagen, damit nicht jemand den Wunsch empfindet,
sich allzu genau nach seinem alten Freund, dem Kapitän Bob,
zu erkundigen.

NACHWORT
    Räubergeschichten haben die Menschen von alters her gefesselt. Den Griechen galten sogar die Götter als ausgezeic hnete Räuber; ihre Mythen berichten von unglaublichen Diebstählen und Entführungen, und der große blinde Sänger Homer ließ den langjährigen Krieg zwischen Asien und Europa mit dem Raub einer Frau beginnen. Im Zeitalter der Entdekkungen freilich, als ferne Länder und Schätze zu erobern waren, als Spanier und Portugiesen die Weltmeere beherrsc hten und bald auch die tüchtigen Holländer in Afrika, Westind ien, Asien und Australien Handelsniederlassungen und Stüt zpunkte errichteten, da erblühten Raub und Geschäft, und oft war zwischen beiden nicht zu unterscheiden.
    Die berühmten Seefahrer Sir John Hawkins und Sir Francis Drake waren Kapitän und Admiral der Königin Elisabeth (sie regierte von 1558 bis zu ihrem Tode 1603), doch ebenso Freibeuter und Sklavenhändler, die – immerhin im Auftrage und unter dem Schutz der Königin – fremde Schiffe aufbrac hten, spanische Häfen überfielen, rund um die Welt Beute machten und Handelsvorrechte erwarben.
    Schon im 15. Jahrhundert hatten sich englische Tuchexporteure zu der
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