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Ungestüm des Herzens

Ungestüm des Herzens

Titel: Ungestüm des Herzens
Autoren: Johanna Lindsey
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    8. Februar 1870, Denver, Colorado
     
    Samantha hielt in ihrem Aufundabgehen inne, als sie ihr Bild in dem großen, ovalen Spiegel über dem Kamin sah. Sie stand am anderen Ende des Raums, so weit von dem Spiegel entfernt, dass sie sich fast ganz darin sehen konnte. Samanthas Augen funkelten. Sie sah nicht, wie provokativ sie in dem modischen zweiteiligen Kleid aus dunkelgrünem Taft aussah, das mit schwarzem Samt einge fasst war. Alles, was sie sehen konnte, war, dass ihr Haar, das sie eine Stunde lang kunstvoll frisiert hatte, wegen ihres erbosten Herumlaufens völlig aus der Fa c on geraten war. Zwei ihrer seidigen kastanienbraunen Locken hingen bis auf ihre schlanke Taille herunter.
    Samantha knirschte mit den Zähnen und stapfte durch die geräumige Hotelsuite, die sie mit ihrer Freundin Jeannette Allston teilte. Jeannette war nicht da, doch selbst wenn sie dagewesen wäre, hätte Samantha nicht versucht, ihren Zorn vor ihr zu verbergen. Gewöhnlich hielt sie ihre Launen in Schach, wenn das kleine blonde Mädchen in der Nähe war, aber in diesem Moment war sie zu wütend. Wütend.
    Sie hielt ihre erzürnten Schritte an und blieb direkt vor dem ovalen Spiegel stehen, die Hände in die Hüften gestemmt, und sie funkelte sich böse an. Große smaragdene Augen blitzten zurück.
    »Sieh nur, was du getan hast, Samantha Blackstone Kingsley!« zischte sie den Spiegel an. »Wieder einmal hast du dich von ihm aus der Fassung bringen lassen. Sieh dich doch an! Estú pida!«
    Sie fluchte oft auf Spanisch , weil sie diese Sprache ebenso gut wie das Englische sprach.
    Heftig steckte sie ihre losen Locken wieder hoch. Eigentlich interessierte es sie nicht mehr, wie sie aussah. Ihr grüner Samthut würde die Frisur ohnehin verstecken. Sie würde ihn direkt vor dem Ausgehen aufsetzen. Falls sie ausging. Falls Adrien je eintraf, um sie ins Restaurant zu begleiten.
    Eine Stunde Verspätung - eine Stunde! Ihr Magen knurrte vor Hunger, und dadurch steigerte sich ihr Zorn. Warum hatte sie Jeannette bloß gesagt, sie würde hier auf Jeannette s Bruder warten? Sie hätte gleich mit Jeannette gehen sollen. Aber nein, Samantha wollte Gelegenheit haben, Adrien allein zu sehen. Es schien, als sei sie nie mit ihm allein.
    Sie liebte Adrien, sie betete ihn an, und wie sollte sie ihm das zeigen, wenn sie ihn nicht wenigstens eine Weile für sich alleine hatte? Doch Adrien kam zu spät. Er kam immerzu spät, und diesmal war sie wütend auf ihn.
    Dieses eine Mal hätte sie Gelegenheit gehabt, Adrien ganz für sich allein zu haben, aber er hatte ihr diese Chance vermasselt, indem er zu spät kam, und das machte sie so wütend. Wenn er käme, falls er käme, wäre sie erbost genug, um Adrien Allston deutlich zu sagen, was sie von ihm hielt! Eine solche Frechheit!
    Warum hatte sie sich ausgerechnet ihn ausgesucht, sich in ihn verliebt? In den überheblichen Adrien. Er sah gut aus nein, er war schön. Er war einfach schön. Nicht zu groß, aber so muskulös, und er sah so männlich aus.
    Ihn würde sie zum Mann nehmen. Natürlich wußte Adrien davon noch nichts. Doch Samantha hatte es von dem Augenblick an gewusst , als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, vor zwei Jahren. Er war der richtige Mann für sie. Und Samantha bekam immer alles, was sie wollte. Seit sie vor zehn Jahren zu ihrem Vater gezogen war - damals war sie erst neun gewesen -, war alles nach ihren Wünschen verlaufen. Sie war es gewohnt, das zu bekommen, was sie wollte.
    Und Samantha wollte Adrien. Also würde sie ihn auf die eine oder andere Art bekommen - vorausgesetzt, sie vergraulte ihn sich heute nicht vollständig.
    Sie muss te sich wirklich beruhigen, denn sie konnte es sich nicht leisten, ihrer Wut an Adrien Luft zu machen. Darauf war er nicht im geringsten ge fasst . Es war ihr immer gelungen, die reizende, zarte Dame zu sein, für die er sie hielt. Von dem Augenblick an, in dem Jeannette gestanden hatte, dass ihr Bruder keinerlei Gefühlsausbrüche duldete, hatte Samantha in seiner Gegenwart nie auch nur die Stimme erhoben. Sie war immer leise, wenn nicht gar gesetzt. Welche Anstrengung sie das gekostet hatte! Sie, die so leicht in Wut ausbrach, die so temperamentvoll war.
    Ihr Hauslehrer hatte sie als verdorben bezeichnet, verdorben, verzogen und eigensinnig. Aber er konnte nicht verstehen, was sie in den ersten neun Jahren ihres Lebens durchgemacht hatte, die sie mit ihrer Großmutter in England verlebt hatte. Daher konnte er nicht wissen, dass sie, sobald sie die
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