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Kapitän Singleton

Kapitän Singleton

Titel: Kapitän Singleton
Autoren: Daniel Defoe
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jetzt zu glauben,
daß er England nie wiedersehen werde und daß er sich darüber
nicht allzu große Sorgen mache, aber da wir nun einen so
großen Reichtum besaßen und er in England einige arme
Verwandte hatte, wolle er, falls ich einwilligte, dorthin
schreiben, um sich zu erkundigen, ob sie noch lebten und in
welchen Verhältnissen sie sich befanden; sollte er erfahren, daß
diejenigen, um die er sich Gedanken machte, noch am Leben
waren, wolle er ihnen, mit meinem Einverständnis, etwas
schicken, um ihre Lage zu verbessern.
Ich war bereitwillig damit einverstanden, und demgemäß
schrieb William an seine Schwester und an einen Onkel. Nach
etwa fünf Wochen erhielt er Antwort von beiden, und zwar an
die Adresse seines schwierigen armenischen Decknamens, den er sich zugelegt hatte, nämlich Signore Konstantin Alexion aus
Isfahan in Venedig.
Er erhielt einen sehr bewegenden Brief von seiner Schwester.
Sie drückte ihre überwältigende Freude darüber aus, daß er am
Leben war, wo man ihr doch schon vor langer Zeit berichtet
hatte, er sei von Piraten in Westindien ermordet worden, und
sie bat ihn, ihr mitzuteilen, in welcher Lage er sich befand; sie
könne zwar nicht besonders viel für ihn tun, er sei ihr aber von
Herzen willkommen. Sie sei Witwe geworden und habe vier
Kinder, unterhalte aber in den Minories einen kleinen Laden,
der es ihr ermöglichte, ihre Familie zu ernähren, und sie
übersende ihm fünf Pfund für den Fall, daß er in dem fremden
Land Geld für die Heimkehr brauche.
Ich sah, daß ihm beim Lesen des Briefs Tränen in die Augen
traten, und als er ihn mir samt dem kleinen Wechsel über fünf
Pfund auf den Namen eines englischen Kaufmanns in Venedig
zeigte, wurden auch meine Augen feucht.
Nachdem uns beide so die Rührung über die Zärtlichkeit und
Güte dieses Briefes ergriffen hatte, wandte sich William mir zu
und sagte: „Was soll ich für diese arme Frau tun?“ Ich überle gte eine Weile und antwortete schließlich: „Ich will dir sagen,
was du für sie tun sollst. Sie hat dir fünf Pfund gesandt und hat
vier Kinder, das sind mit ihr selbst fünf Personen. Eine solche
Summe von einer armen Frau in ihrer Lage bedeutet soviel wie
fünftausend Pfund für uns. Schicke ihr einen Wechsel über
fünftausend Pfund in englischem Geld und bitte sie, ihre
Überraschung darüber geheimzuhalten, bis sie wieder von dir
hört und bitte sie auch, irgendwo auf dem Lande in der Nähe
von London ein Haus zu erwerben und dort bescheiden zu
leben, bis sie wieder Nachricht von dir erhält.“
„Aha“, sagte William, „daraus entnehme ich, daß du mit dem
Gedanken spielst, dich nach England zu wagen.“
„Nein, William“, antwortete ich, „du verstehst mich falsch,
aber mir kam in den Sinn, daß du dich dorthin wagen solltest, denn was hast du eigentlich getan, daß du dich dort nicht sehen lassen dürftest? Warum sollte ich dich von deinen Verwandten
fernhalten wollen? Nur damit du mir Gesellschaft leistest?“ William sah mich sehr liebevoll an. „Nein“, sagte er, „wir
sind so lange miteinander zur See gefahren und so weit
miteinander gereist, daß ich entschlossen bin, mich nicht mehr
von dir zu trennen, solange ich lebe. Ich will dorthin gehen,
wohin du gehst, und dort bleiben, wo du bleibst; und was
meine Schwester betrifft“, sagte William, „so kann ich ihr eine
solche Summe nicht schicken, denn wem gehört alles Geld, das
wir haben? Das meiste davon ist deins.“
„Nein, William“, sagte ich, „nicht ein Penny davon gehört
mir, der nicht auch dir gehörte. Ich lasse mich auf nichts weiter
ein als nur darauf, alles gleichmäßig mit dir zu teilen, und
deshalb sollst du es ihr schicken – sonst werde ich es tun.“ „Aber es wird die arme Frau ja um den Verstand bringen“,
wandte William ein, „es wird sie so überraschen, daß sie
wahnsinnig werden wird.“
„Nun, William“, erwiderte ich, „du kannst es ja vorsichtig
anfangen. Schicke ihr einen Wechsel über hundert Pfund und
teile ihr mit, daß sie mit der nächsten oder übernächsten Post
mehr zu erwarten hat und daß du ihr genug senden wirst, damit
sie leben kann, ohne einen Laden zu führen, und dann schicke
ihr mehr.“
Dementsprechend sandte William ihr einen sehr gütigen
Brief mit einem Wechsel über hundertsechzig Pfund auf den
Namen eines Kaufmanns in London und bat sie, sich in der
Erwartung zu freuen, daß er ihr bald mehr senden könne.
Ungefähr zehn Tage darauf schickte er ihr wieder einen
Wechsel über
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