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Kann ich gleich zurueckrufen

Kann ich gleich zurueckrufen

Titel: Kann ich gleich zurueckrufen
Autoren: Barbara Streidl
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Schweißflecken unter meinen Armen sind mittlerweile handflächengroß – meine Bürobluse ist eher schick als atmungsaktiv. In der Umkleidekabine gibt es Gedränge; die nächste Turngruppe, Mädchen im Teenageralter, hat sich bereits umgezogen. Es kostet mich zweieinhalb Minuten, Schuhe und Mütze meines Sohnes zu finden, die unter den Kleidern der Teenies vergraben liegen. Mein Kleiner möchte etwas trinken. Und die Brezel essen. Vom Apfel aber nur einen Bissen. Nach mehrmaligem Bitten geht er auch mit mir zur Toilette. Um 17:10 Uhr laufen wir los, Richtung U-Bahn. Der Kleine ist müde, ich trage ihn wieder. Die U-Bahn fährt pünktlich um 17:16 Uhr ab; sie ist übervoll – Rushhour. Eine junge Frau bietet mir ihren Sitzplatz an, dankbar setze ich mich und nehme mein Kind auf den Schoß.
    Es kommt nicht oft vor, dass jemand freundlich zu mir ist in der U-Bahn oder im Bus, wenn ich mit meinem Sohn unterwegs bin. Ich kenne eine Menge böser Bemerkungen. Die Leute schimpfen, dass ich gerade dann mit einem Kleinkind einsteigen möchte, wenn die U-Bahn am vollsten ist – und auch noch Platz brauche für Kinderwagen, Buggy oder Laufrad. Es passt ihnen ebenso wenig, dass ein Baby schreit oder ihre »Kuckuck!«-Angebote ignoriert. Und so mancher Fahrer schließt die Bustüren so schnell, dass der Kinderwagen eingeklemmt wird. Dann wird wieder geschimpft – die Fahrgäste wollen nicht warten, vor allem nicht auf eine Mutter mit einem Kind. Ich erzähle immer meinem Mann von diesen Erlebnissen, abends, wenn er heimkommt aus dem Büro. Wir schimpfen dann gemeinsam auf die Rücksichtslosigkeit von Busfahrern und U-Bahn-Fahrgästen.
    Nach sechs Minuten und zwei Haltestellen ist unsere U-Bahn-Fahrt vorbei. Wir steigen aus. Mein Sohn geht an meiner Hand die Treppe hinauf und sagt, dass er noch rutschen will. Ich willige nach kurzem Überlegen ein, der Spielplatz liegt auf dem Heimweg. Während mein Sohn rutscht, nehme ich um 17:39 Uhr wieder einen Anruf entgegen. Wieder aus dem Büro. Eine der beiden Grafikerinnen, es ist die jüngere, fragt ein wenig gelangweilt nach der Fotoauswahl für die Bebilderung einer Broschüre. Ich höre, wie sie Kaugummi kaut, während sie sagt, dass der Drucktermin vorverlegt worden ist: Schon morgen, Dienstag, zehn Uhr, ist Annahmeschluss. Der Entwurf ist noch nicht vom Vorgesetzten abgesegnet. Ich entscheide schnell. Ich rufe bei der Druckerei an, um mehr Zeit für das Layout der Broschüre zu haben – die Nummer habe ich in meinem Handy eingespeichert. Glücklicherweise erreiche ich meinen Ansprechpartner und vereinbare einen neuen Annahmeschluss. Morgen um 14:30 Uhr müssen alle Druckunterlagen vorliegen.
    Mein Sohn rutscht zum vierten Mal, und ich rufe die Grafikerin wieder an. Sie kaut immer noch Kaugummi. Ich nenne ihr den neuen Termin und bitte, dass sie den Entwurf bis elf am kommenden Morgen fertig macht. Ich nenne ihr noch den Speicherort der von mir ausgewählten Fotos und wünsche einen schönen Feierabend.
    Ich schiebe das Handy in meine Tasche und gehe zu meinem Sohn, der gerade die Leiter zur Rutsche hochklettert. Eine Nachbarin kommt auf mich zu. Sie hat beobachtet, dass ich sechs Minuten ohne Unterbrechung telefoniert habe. Wahrscheinlich hat es ihr nicht gefallen. Sie zeigt auf eine kleine Schürfwunde auf der Stirn meines Sohnes, die fast vollständig verheilt ist und fragt, wie das passiert ist. Ich sage, dass mein Sohn vergangene Woche im Kindergarten über einen Ball gestolpert ist. Die Nachbarin ist entsetzt. »Bist du da nicht stinksauer auf die Kindergärtnerinnen gewesen, dass die nicht besser aufpassen?«, will sie wissen. Ich schüttle den Kopf. Sage, dass der Kleine auch stolpern kann, wenn ich genau danebenstehe. Hier sind das Verständnis meiner Nachbarin und auch unser Gespräch beendet. Sie sagt, sie würde ihre Kinder nie weggeben, und lässt mich stehen.
    Ich würde mein Kind auch nie weggeben, denke ich, verkneife mir aber jeden Kommentar. Ich winke meinem Sohn, der immer noch rutscht, und klopfe Sand von meiner Hose. Ich treibe den Kleinen sanft an, mit mir nach Hause zu gehen. »Noch einmal rutschen, dann gehen wir heim!«, rufe ich. Er rutscht noch dreimal, dann gehen wir wirklich nach Hause.
    Kurz vor sechs kommen wir zu Hause an. Während mein Sohn auf dem Küchenboden einen großen Turm aus Lego baut, schäle ich Kartoffeln für eine schnelle Suppe. Dann räume ich den Wäschetrockner aus und sauge Gang, Küche und Bad – nach jedem Spielplatzbesuch
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