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Der Totenschmuck

Titel: Der Totenschmuck
Autoren: Sarah Stewart Taylor
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Prolog
    1863
    Diese Zeit mochte Belinda am liebsten, die drei oder vier Wochen im Vorfrühling, wenn der Winter sich veränderte und sich in diese Übergangsjahreszeit verwandelte, die nach durchlässiger Erde und plätschernden Bächen roch. Das Gras war nach dem langen Winter immer noch braun und sah faulig aus, aber als Belinda ihren Kopf beugte, um den Geruch des feuchten Bodens einzuatmen, konnte sie die ersten blassgrünen Triebe erkennen, die ein kräftigeres Grün versprachen, konnte die zögernde Sonne spüren, die ihre Verheißung in die kalte Luft flüsterte.
    Sie war zu dem Grab ihrer Familie am Asphodel Path unterwegs, in einem der neueren Abschnitte des Mount-Auburn-Friedhofs. Der Friedhof wurde erweitert, und sie beobachtete die Arbeiter, die Erde transportierten, um neue Wege anzulegen. Am Wochenende hatten sich die Besucher noch auf den schmalen Sträßchen gedrängt - es war zur Gewohnheit geworden, einen Spaziergang zwischen den Grabsteinen zu machen, um sich von der hektischen Stadt, von neuen Nachrichten über die Söhne, Brüder und Liebsten, die von den Konföderierten getötet worden waren, zu erholen - aber heute war es ruhig. Während sie die Arbeiter bei ihrem ersten Friedhofsbesuch hatte lachen hören, schienen sie jetzt ihre Privatsphäre zu respektieren und arbeiteten schweigend.

    Sie war seit seinem Tod fast jeden Tag hier. Und sie hatte bemerkt, dass sie sich auf die Friedhofsbesuche zu freuen begann, die einzige Gelegenheit des Tages, um wirklich allein zu sein. Sie mochte es, über die schmalen Wege zu schlendern und die Inschriften der Grabsteine zu lesen. An einem ging sie fast jedes Mal vorbei, er hatte die Form eines Engels aus schlichtem weißem Marmor mit den Worten »Meine Ehefrau und mein Kind«.
    Der Boden war für Bestattungen noch zu stark gefroren, und es würde noch Monate dauern, bis Charles’ Gedenkstein fertig sein würde. Sie hatte versucht, die Grabstelle mit einer stumpfen Nähschere zu pflegen, schließlich jedoch aufgegeben und mit der Hand das tote Unkraut und Gras einschließlich der trockenen Wurzeln entfernt.
    Belinda berührte ihre Halskette aus sorgfältig geflochtenen Haaren. Charles hatte sehr dunkles Haar gehabt, ein tiefes Braun mit rostrotem Schimmer, und es war auch während seiner langen Krankheit nicht ergraut. In den letzten Monaten war es ausgewachsen - er hatte einen seltsamen Aberglauben, wann er es sich schneiden ließ -, und indem sie seine Haarlocken um eine runde Form gelegt und zwanzig kompliziert von einem Netz gehaltene Perlen geformt und aneinandergereiht hatte, hatte sie eine Kette gefertigt, die bis zum dritten Knopf ihres Kleides reichte. Nachdem sie die Locken, wie in Godey’s Lady’s Book empfohlen, mit Sodawasser behandelt hatte, war sie nächtelang allein im Salon gesessen, mit dem sonderbaren kleinen Tisch für diese Haararbeit, den der Gärtner ihr gezimmert hatte. Nach Beendigung ihrer Arbeit war sie mit der Kette zu dem Juwelier ihres Vaters gegangen, der den Verschluss angebracht hatte.
    Diese Beschäftigung hatte ihr Freude gemacht; sie hatte sie an all den Abenden abgelenkt, an denen sie ihn zwar nicht gerade vermisste, ihr aber seine Gestalt gegenüber am Esstisch oder im Salon fehlte, wo er stets mit der Zeitung saß und Portwein trank, während sie las oder an einer Stickerei arbeitete.

    Sie schüttelte den Kopf, um die Erinnerung an sein Krankenlager, die fleckigen, über den Boden verstreuten Stofflappen und die nervös herumtrippelnde Hausmagd zu verscheuchen, die sich selbst verflucht hatte, als seine Stunde nahte. Es war merkwürdig, wie sehr sie sich in diesen letzten wenigen Tagen an seinen Zustand gewöhnt hatte, und sie hatte es noch eher gewusst als der Arzt, dass er sterben würde. Seine Hautfarbe und der Geruch seines Zimmers hatten ihr gesagt, dass sie bald Witwe sein würde.
    »Es tut mir leid, Ma’am, ich muss eine Ladung Erde herschaffen, und ich will Sie nicht stören, Ma’am.« Sie wandte sich erschrocken um. Ihr Blick fiel auf einen der Arbeiter, der mit einer Schubkarre vor ihr stand. Irisch. Sie trat einen Schritt zurück.
    »Das macht nichts. Machen Sie nur. Ich fühle mich nicht gestört«, erwiderte sie einem blauen Augenpaar in einem jungenhaften Gesicht. Er war noch jung. Nicht viel älter als sie selbst. Ich bin erst dreiundzwanzig und schon Witwe .
    Was geschehen war, war ihre eigene Schuld. Sie hatte einen Mann geheiratet, der so alt war wie ihr Vater, weil sie ein angenehmes Leben
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