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Kann ich gleich zurueckrufen

Kann ich gleich zurueckrufen

Titel: Kann ich gleich zurueckrufen
Autoren: Barbara Streidl
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Schwierigkeiten, mit denen berufstätige Menschen mit Kindern zu kämpfen haben, sind es häufig ganz alltägliche Zeitpläne, die gegen sie arbeiten. Wir straucheln, weil der Bus schon abgefahren ist, der Aufzug auf sich warten lässt, die Konferenz im Büro außerhalb der Kinderbetreuungszeiten stattfindet.
    Wie soll das neue Leben aussehen, das Frauen wie Männern beides ermöglicht – Karriere und Kinder? An dieser Stelle muss neu diskutiert werden, denn sonst steuern wir auf eine Zukunft zu, die uns, gestützt von Betreuungsmöglichkeiten, im Alltag kinderlos macht. Wir werden uns in Fulltime arbeitende Teilzeitmütter und Wochenendväter verwandeln, staatlich unterstützt. Abhängig von perfekt ausgetüftelten Terminplänen, in denen es kaum Spielraum gibt. So sieht der derzeitige Plan mit Krippenausbau und Stärkung des Elterngeldangebots nämlich aus: Kinder werden keinen sichtbaren Platz mehr haben in unserer Gesellschaft. Weil sie die Arbeitszeit ihrer Eltern stören.
    Von der Realität der gängigen Kita-Schließzeiten einmal abgesehen möchten nicht alle Frauen eine 40-, 45-Stunden-Vollzeitwoche haben, wenn ein kleines Kind zu Hause wartet. Und sicher wollen das auch nicht alle Männer. Frauen, die kurz nach der Entbindung eines Kindes wieder ins Berufsleben einsteigen, machen das häufig auch deshalb, weil sie fürchten, den beruflichen Anschluss zu verpassen. Doch sich einzugestehen, dass das eigene Kind ein Karrierekiller ist, weil es durch seine bloße Existenz die zeitliche Flexibilität torpediert, ist schmerzhaft. Schuld an der Angst zu versagen hat aber nicht das Kind, sondern die gängige Meinung, dass nur wer Vollzeit arbeitet in unserem Land Karriere machen darf.
    Die Unvereinbarkeit von Bekennen zur eigenen Familie auf der einen Seite und der Angst vor dem beruflichen Versagen auf der anderen führt unweigerlich zu einem Burn-out vieler Frauen – und auch Männer. Die Bemühungen der Bundesregierung und anderer Organisationen werden also nicht ausreichen, um das Bus-Nachlauf-Gefühl aus dem Leben einer berufstätigen Mutter zu verbannen. Auch die Visionen, die Vorstellungen, wie wir Menschen in diesem Land leben wollen, müssen verändert werden. Wir müssen sie verändern.
    München, im Januar 2012
    Barbara Streidl

MONTAG
    Ich stehe am Aufzug und drücke zum dritten Mal auf den Nach-unten-Knopf. 14:50 Uhr. Seit drei Minuten warte ich hier und bombardiere mich mit Fragen: In welcher Geschwindigkeit kann ich fünfzehn Stockwerke nach unten laufen, ausstempeln, über die Straße hetzen, dabei natürlich die Ampel ignorieren, um rechtzeitig die Bushaltestelle zu erreichen? Und dann noch weiter zum Bahnhof, weil der Bus nicht kommt und ich doch die U-Bahn nehmen muss. Selbstverständlich habe ich alle Abfahrtszeiten im Kopf. Um 14:52 Uhr fährt der Bus. Bei normalem Verkehr bringt er mich in sieben Minuten zur Haltestelle am Kindergarten. Um 14:57 Uhr fährt die U-Bahn; sie braucht elf Minuten zur selben Haltestelle. Wie Bus und Bahn hat auch der Kindergarten klar geregelte Zeiten: Komme ich nach 15:30 Uhr an, wird mir mein Kind mit Mütze und Schal von einer Erzieherin entgegengeschoben, die mich auf die vereinbarte Abholzeit hinweist. Ich ziehe die Rüge der Pädagogin in jedem Fall einem weinenden Kind auf der Türschwelle des Kindergartens vor. Und entscheide mich gegen fünfzehn Stockwerke im Treppenhaus. Es gibt überall geregelte Abfahrtszeiten in meinem Großstadtleben – außer bei Aufzügen. Und deswegen stehe ich jetzt immer noch hier.
    Aufzüge sind die natürlichen Feinde berufstätiger Mütter. Eine Kindergartenmutter hat mir erzählt, dass sie letzten Winter mehrere Stunden in einem Aufzug verbringen musste. Der Lift war zwischen zwei Stockwerken stecken geblieben – abgeschnitten vom Mobilfunknetz. Als sie endlich von einem Servicetechniker aus dem Aufzug befreit worden war, hatte ihre Schwiegermutter den fünfjährigen Jungen schon vom Kindergarten abgeholt. Die Leitung des Kindergartens hatte eine Viertelstunde gewartet. Weder die Kindergartenmutter noch ihr Mann waren telefonisch zu erreichen. Also wurde die Schwiegermutter, deren Telefonnummer zum Glück bei der Leitung für Notfälle hinterlegt worden war, benachrichtigt. Allerdings wohnte sie eine Stunde Autofahrt entfernt. Im Folgemonat wurden dann die Gebühren angehoben. Die Leitung des Kindergartens bestand darauf, einen einstündigen Sicherheitspuffer zwischen geplanter Abholzeit und realer Abholzeit
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