Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kann ich gleich zurueckrufen

Kann ich gleich zurueckrufen

Titel: Kann ich gleich zurueckrufen
Autoren: Barbara Streidl
Vom Netzwerk:
meinem Sohn an der Hand in die Mitte des Kreises hüpfe und wieder zurück, bemerke ich, dass ich einen Anruf auf meinem Handy erhalte: Es vibriert in meiner Hosentasche. Sechsundachtzig Minuten nach Ende meiner heutigen Arbeitszeit ruft das Büro an, genauer gesagt, eine junge Kollegin. Meine Assistentin.
    Die junge Kollegin hat mich während meiner Elternzeit vertreten. Seit meiner Rückkehr arbeitet sie mir zu. Wir teilen uns mein Büro; dort, wo früher eine große Zimmerpflanze stand, steht jetzt ihr Schreibtisch. Es war der Wunsch meines Vorgesetzten, dass sie bleibt und mich unterstützt. Mit einer 30-Stunden-Woche arbeite ich Teilzeit und kann das gesamte Pensum nicht mehr wie früher allein erledigen. Ich habe nun die junge Kollegin als Verstärkung, bin eine Teilzeitkraft mit einer Assistentin.
    Die junge Kollegin engagiert sich sehr. Sie bleibt häufig länger im Büro als ich, obwohl sie seit meinem Wiedereinstieg keinen befristeten Vollzeitvertrag mehr hat, sondern einen Jahresvertrag auf Teilzeitbasis, der bereits einmal verlängert wurde. Und sie ist an vielen Tagen schon da, wenn ich morgens um 8:40 Uhr das Büro betrete. Ich arbeite gerne mit ihr zusammen, komme gut klar mit ihr. Es gibt kein Konkurrenzdenken zwischen uns, nicht von meiner Seite. Ich fälle die Entscheidungen, hole aber immer ihre Meinung vorher ein. Denn ich finde, dass sie was kann. Sie kommt frisch von der Uni, ist Mitte zwanzig und hat noch nicht viel Betriebserfahrung. Das macht sie mit Ausdauer wieder wett. Sie sagt nie: »Das habe ich aber noch nie gemacht« und hat mich in meiner Elternzeit passabel vertreten, wie mir die anderen aus der Abteilung erzählt haben.
    Heute habe ich die junge Kollegin gar nicht gesehen, weil sie an einer Schulung der IT -Abteilung teilgenommen hat. Die Schulung ist jetzt, um 16:11 Uhr, wohl vorbei. Während ich auf beiden Beinen hüpfe, meinen Sohn an der Hand, gehe ich ans Telefon. »Ich bin’s«, sagt die junge Kollegin. Wir sind per Du. »Ist’s gerade ungünstig?«, fragt sie. Sicher hört sie die vierzig Paar Beine, die zeitversetzt mit mir auf dem Turnhallenboden landen. »Geht schon«, sage ich etwas außer Atem.
    Sie informiert mich in wenigen Sätzen darüber, dass der Vorgesetzte sie auf eine Präsentation angesprochen hat, die ich am kommenden Tag abgeben soll, und fragt, ob ich dabei Unterstützung benötige. Ich hüpfe weiter und verneine. Dann ist das Telefonat beendet. Ich schiebe das Handy zurück in meine Hosentasche und hebe meinen Kleinen hoch: Wir drehen uns schnell im Kreis, erst links herum, dann rechts herum.
    Mein Vorgesetzter ist Anfang fünfzig. Er ist verheiratet, hat zwei Töchter im Teenageralter. Ihre Fotos stehen auf seinem Schreibtisch. An seinem Geburtstag im Juni bringt er jedes Jahr einen vorzüglichen Rhabarber-Baiser-Kuchen mit ins Büro, gebacken von seiner Frau. Einmal im Jahr fährt er für drei Wochen in Urlaub – meistens nach Österreich zum Wandern. Jedes Mal schickt er an seine Sekretärin eine Postkarte mit herzlichen Grüßen an die gesamte Belegschaft. Wir haben ein gutes Arbeitsverhältnis, nicht sehr persönlich, aber freundlich und auch respektvoll. Ich arbeite seit insgesamt sieben Jahren für ihn, die Elternzeit mitgerechnet. Gleich nach Abschluss meines Studiums habe ich in seiner Abteilung angefangen, mich von der Marketingassistentin zur Projektmanagerin hochgearbeitet.
    Heute ist mein Vorgesetzter fünf Minuten vor Dienstschluss in mein Büro gekommen. Ich hatte gerade meinen Computer heruntergefahren. Meine Assistentin war nicht da, wegen der IT -Schulung. Also legte der Vorgesetzte die blaue Mappe auf meinen Schreibtisch. »Sie sind ja noch ein bisschen da. Da können Sie das für mich erledigen. Bis morgen, bitte.«
    Das, was ich da für meinen Vorgesetzten erledigen soll, lässt sich aber nicht in fünf Minuten erledigen. In der blauen Mappe ist eine Übersicht aller Projekte, die meine Abteilung im vergangenen Jahr durchgeführt hat. Die Übersicht soll dem Vorstand Ende der Woche präsentiert werden. Eine solche Präsentation kann nicht in ein paar Minuten gestrickt werden. Das weiß mein Vorgesetzter, und ich weiß es auch. Trotzdem habe ich nichts gesagt, als er mir die Unterlagen auf den Tisch gelegt hat, sondern nur genickt. Die blaue Mappe steckt jetzt in meiner Tasche, neben der Flasche, der Brezel und dem Apfel.
    Pünktlich um 17:00 Uhr verlassen mein Sohn und ich die Turnhalle, beide mit hochroten Wangen. Die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher