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Kann ich gleich zurueckrufen

Kann ich gleich zurueckrufen

Titel: Kann ich gleich zurueckrufen
Autoren: Barbara Streidl
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einzubauen.
    Ich will mein Kind nicht später abholen, weder geplant noch real. Ich will es jetzt abholen. 14:52 Uhr. Noch einmal drücke ich auf den Nach-unten-Knopf. Schnell kontrolliere ich meine Tasche. Turnschuhe, Sporthose, die blaue Flasche, gefüllt mit Wasser und Saft, ein Apfel. Eine Brezel werde ich noch kaufen, in der Bäckerei gegenüber vom Kindergarten. Endlich kommt der Aufzug, nach fünf Minuten Wartezeit.
    Meine Reise aus der Berufstätigkeit ins Leben mit einem dreijährigen Kind beginnt. Ich habe Glück und komme ohne Zwischenstopp in einem anderen Stockwerk am Bürohausausgang an. Und ich weiß: Den Bus habe ich bereits verpasst. Am U-Bahnhof, den ich im Laufschritt erreiche, muss ich wieder warten. Eine Betriebsstörung hat den normalen Fahrplanablauf verändert. 15:07 Uhr. Die nächste U-Bahn kommt, ich steige ein und bleibe neben den Türen in Fahrtrichtung ganz vorne stehen. Um 15:18 Uhr stürze ich aus dem Abteil. Zwei Stufen auf einmal nehmend renne ich die Treppen hinauf zum Ausgang. Für die Rolltreppe bleibt mir keine Zeit, schließlich muss ich noch eine Brezel kaufen. Die Frau in der Bäckerei lächelt mich mitfühlend an, als ich ihr »Eine Brezel, bitte, wenig Salz« entgegenkeuche und eine Handvoll schweißnasser Münzen auf den Tresen lege. Abgezählt natürlich – dafür hatte ich während der U-Bahn-Fahrt ja Zeit.
    Ich komme um 15:25 Uhr im Kindergarten an, mit Schweißflecken unter den Armen und völlig außer Atem. Ich weiß, warum ich bei meinem Büro-Outfit in Sachen Schuhe eher auf »Kann ich damit rennen?« achte und nicht auf »Kann ich mich damit sehen lassen?«. Das Gefühl, zu spät zu sein und rennen zu müssen, ist allgegenwärtig in meinem Leben. Seitdem ich eine Mutter bin. Seitdem ich dieses Handicap habe – ein Kind.
    »Meine Mama!« Mein Sohn läuft mir entgegen, in Mütze und Jacke. Weil er im Garten gespielt hat, sagt die Erzieherin. Doch an ihrem Blick erkenne ich, dass sie gedanklich bereits auf dem Heimweg ist. Es sind noch zwei andere Kinder da. Beide werden von ihren Müttern erst um Viertel vor fünf abgeholt. Für ihr Wohl reicht eine Betreuungsperson – die Erzieherin meines Kindes hat jetzt Feierabend.
    Ich habe noch nicht Feierabend. Meine Arbeitszeit hat zwar vor fünfundvierzig Minuten geendet, doch es stehen noch einige außerberufliche Termine an: Kinderturnen, Abendessen, Kind ins Bett bringen, Haushalt. Und natürlich Partnerschaftspflege.
    Ich bin fünfunddreißig und seit drei Jahren Mutter. Seit zwei Jahren bin ich eine berufstätige Mutter, bin ich eine der Frauen in Deutschland zwischen fünfundzwanzig und neunundvierzig, die Kinder haben und eine Arbeit. * Ich arbeite dreißig Stunden pro Woche in dem Büro, in dem ich vor meinem Muttersein Vollzeit gearbeitet habe, kümmere mich um die interne und externe Firmenkommunikation eines großen Medienhauses, wie es so schön heißt. Nach einem Jahr Elternzeit habe ich meine alte Stelle wieder angetreten. Seitdem reagiere ich auf gut gemeinte Sätze aus dem Familien- und Bekanntenkreis wie »Jede Mutter kennt das Gefühl, vom betrieblichen Informationsfluss ausgeschlossen zu sein« oder »Nach der Babypause sehen sich viele Mütter beruflich in einer Sackgasse« anders als früher: Ich habe die Seiten gewechselt, bin von der Sprechenden zu der geworden, über die gesprochen wird. Noch mehr ärgere ich mich darüber, wenn ich höre, dass ich ja »nur Teilzeit« arbeite. Berufstätige Mutter sein ist ein Fulltime-Job.
    Mein Kind an der Hand gehe ich vom Kindergarten zur U-Bahn. Um 15:42 Uhr steigen wir ein, drei Minuten später wieder aus. Die Sporthalle ist fünf Minuten von der U-Bahn-Station entfernt. Weil mein Sohn gerade nicht laufen möchte, trage ich ihn. Er schmiegt sich in meinen Arm und spielt mit meinen Haaren. Um 15:53 Uhr kommen wir an der Turnhalle an. In der Umkleidekabine ziehe ich ihm Mütze, Jacke, Schuhe, Hose, Socken, Pullover aus und T-Shirt, Turnhose, Socken, Turnschuhe an. Fertig umgezogen trinkt er noch etwas aus der blauen Flasche. Ich ziehe mich auch um: Turnschuhe statt Slipper; die Jacke meines Hosenanzugs hänge ich an einen Garderobenhaken. Mein Portemonnaie und meine Ohrringe sperre ich in einen kleinen Schrank.
    Um 15:59 Uhr betreten wir gemeinsam die Turnhalle. Mein Sohn rennt zu einem großen Korb mit bunten Gymnastikbällen. Es geht los: Ballspielen zum Aufwärmen. Dann werden alle Eltern und Kinder gebeten, einen großen Kreis zu bilden. Während ich mit
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