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Kaltes Gift

Kaltes Gift

Titel: Kaltes Gift
Autoren: Nigel McCrery
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ungeduldig, »in
einen Ihrer Pflanzenkübel. Einen von Eunices Pflanzenkübeln.«
    »Nein!«, schrie sie und stürzte sich mit erhobenem Messer auf
ihn.
    Er packte ihren Arm, als sie sich mit dem ganzen Körper gegen
ihn warf, und stieß sie zurück, das Messer noch immer im Griff. Sie
taumelte rückwärts, prallte unterhalb der Knie gegen den Sitz des
Sessels und saß plötzlich gezwungenermaßen wieder darin.
    »Nein!«, sagte sie wieder; Verdrängen hatte die Wut abgelöst.
    »Wir gehen jetzt nach oben«, sagte er. »Vielleicht ist Eunice
Coleman noch am Leben.«
    Er packte ihre Handgelenke, zerrte sie aus dem Sessel hoch und
stieß sie vor sich her die Treppe hinauf ins Obergeschoss. Sie wand
sich in seinem Griff, doch sie hatte keine Kraft mehr. Sie spürte
förmlich, wie ihre Knochen unter seinem Griff zerbröselten. Seine rohe
Männlichkeit überwältigte sie, machte sie hilflos, als er ihr das
Messer abnahm und es quer durch die Diele warf. Alles, was sie gewesen
war, hatte sie in fremde Identitäten investiert. Sie hatte nichts mehr,
womit sie kämpfen konnte.
    Der Polizist ging zur Frontseite des Hauses, auf das
Schlafzimmer zu, wo Daisy Eunice sterbend zurückgelassen hatte. Er zog
Daisy hinter sich her, stieß die Tür auf und blickte sich um, doch sie
wusste schon, dass er nichts finden würde.
    Er zog sie hinter sich her in den nächsten Raum, das
Gästezimmer, aber das war ebenfalls leer. Das Badezimmer war am Ende
des Korridors, und er stieß mit einer Hand die Tür auf, während die
andere Daisys Handgelenk festhielt. In dem Moment, als er die Tür
öffnete, roch Daisy den sauren Gestank von frisch Erbrochenem.
    Eunice lag zusammengekrümmt im Bad. Ihr Gesicht glänzte von
Schweiß. Blut tröpfelte ihr von den Lippen, wo sie hineingebissen
hatte. Daisy konnte das Miasma von Verwesung und Tod förmlich sehen,
wie es aus jeder Pore, jeder Öffnung ihres Körpers aufstieg.
    »Sie bleiben hier«, befahl der Polizist und stieß Daisy auf
den Toilettensitz. Dann ging er zu Eunice hinüber, fühlte ihren Puls
und drehte sie rasch in die Seitenlage, damit sie, wenn sie wieder
erbrach, nicht daran erstickte. Nicht dass es noch viel nützte. Daisy
hatte genug alten Frauen beim Sterben zugesehen, um zu wissen, dass
Eunice nicht mehr zu helfen war. Wie ein von Muscheln überkrustetes
Rettungsboot, das ein schräges Slipdock hinuntergleitet, in ein kaltes,
dunkles Meer – man konnte sie nicht zurückrufen. Bei der Reise
in den Tod gab es keine Umkehr, wenn man sie einmal angetreten hatte.
    Der Polizist hatte ein Handy aus der Jacke gezogen und
forderte einen Krankenwagen und Verstärkung an. Während er abgelenkt
war, schlüpfte sie leise aus dem Badezimmer in den Korridor.
    Jetzt gab es keinen Ausweg mehr für sie.
    Nein, sie irrte sich. Einen Fluchtweg gab es noch, falls sie
sich traute, ihn einzuschlagen.
    Geräuschlos, aber hastig stieg Daisy die Treppe in die Diele
hinunter. Sie warf einen sehnsüchtigen Blick auf die Haustür, aber wo
sollte sie denn hin? Sie hatte kein Auto, und die Polizei würde sich
kaum überanstrengen müssen, um sie zu schnappen, wenn sie unten an der
Straße auf den Bus wartete. Nein, sie würde sich nicht selbst
entwürdigen, indem sie auf so eine Weise davonrannte!
    Stattdessen wandte sich Daisy um und ging in die Küche.
    Der Kaffeekrug stand noch genau da, wo sie ihn zurückgelassen
hatte, auf der Heizplatte, halb gefüllt mit schwarzer, dampfender
Flüssigkeit.
    Sie fasste ihn, hob ihn am Griff heraus. Das Gewicht des
Glaskrugs brachte sie fast aus dem Gleichgewicht, sie musste sich mit
der anderen Hand an der Arbeitsfläche festhalten, um nicht hinzufallen.
    Einen Moment lang erwog sie, den Kaffee in einen Becher zu
gießen, einen Schuss Milch und Zucker hineinzugeben, so, wie sie es
gern hatte, und ihn dann langsam zu trinken, auf zivilisierte Weise.
Doch ihr war, als höre sie derbe Schritte die Treppe herunterpoltern.
Da setzte sie den Glaskrug an die Lippen und stürzte den Kaffee in
großen Schlucken hinunter, neigte den Krug stärker und stärker. Dampf
waberte ihr um den Kopf, Schweißperlen standen ihr auf der Stirn. Das
Glas verbrannte ihr die Lippen, und das Gebräu verbrühte ihr den
Schlund, aber sie hörte nicht auf. Sie spürte eine aufflammende Hitze
im Magen, die sich im ganzen Bauch ausbreitete. Ihr Mund war wund und
voller Blasen, und der Kaffee zerfraß ihr die Kehle wie Säure, während
er in ihren Körper rann.
    Jemand schlug ihr den Krug aus der Hand,
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