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Kaltes Gift

Kaltes Gift

Titel: Kaltes Gift
Autoren: Nigel McCrery
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verdient?«
    Geherty machte eine knappe Kopfbewegung, als wolle er eine
Fliege verscheuchen. »Die sind tot, und sie hatten keine Familie und
keine engen Freunde. Es ist niemand mehr da, um einen Schlusspunkt zu
setzen. Und Madeline Poel wird von uns für das bestraft werden, was sie
getan hat. Was denn sonst?«
    »Allein die Tatsache, dass Sie diese Frage stellen, beweist,
dass Sie nicht qualifiziert sind, sie zu beantworten«, erwiderte
Lapslie.
    Geherty schob die Hand in seine Jackentasche und zog ein Blatt
Papier heraus, zweimal zu einem langen Rechteck gefaltet. »Das hier ist
ein Schreiben von DCS Rouse an Sie, mit dem er Ihnen die Verantwortung
für diesen Fall entzieht.« Er hielt es Lapslie hin.
    »Es tritt nicht in Kraft, bevor ich es gelesen habe«,
versetzte Lapslie und machte kehrt, um das Büro zu verlassen.
    »Seien Sie doch nicht blöd«, fauchte Geherty. »Wenn ich Ihnen
jetzt nachlaufen muss – da draußen sind Dutzende von Zeugen,
die sehen werden, wie ich Ihnen dieses Schreiben aushändige.«
    »Der erste Schritt ist immer der schwerste«, bemerkte Lapslie,
verließ das Büro und machte die Tür hinter sich zu. Rasch drehte er
sich um und schloss sie mit dem Schlüssel ab, den er sich von Rouses
Sekretärin hatte geben lassen.
    Die Türklinke klappte nach unten, als Geherty die Tür öffnen
wollte, klappte erneut, ungestümer. Lapslie hörte das Schloss
quietschen, als Geherty sich mit vollem Gewicht dagegen warf. Er
fluchte oder schrie nicht, bot nur stumm seine ganze Kraft auf, um die
Tür aufzubrechen.
    DCS Rouses Sekretärin saß an ihrem Schreibtisch und sah all
dem mit offenem Mund zu.
    »Ich weiß nicht, wie der in dieses Gebäude gekommen ist«,
erklärte Lapslie ihr ernst, »aber wir müssen ihn da drin lassen, bis
die Pfleger von der Psychiatrie da sind.« Er beugte sich vor, nahm den
Hörer von ihrem Telefon und drückte die Taste, von der er wusste, dass
sie ihn mit Rouses Büro verband. Hinter der zugesperrten Tür, die
wütend vibrierte, begann das Telefon zu läuten. »Lassen Sie es
klingeln, bis er sich meldet«, fuhr er fort, »und dann legen Sie den
Hörer neben den Apparat. Ich will die Leitung blockieren.« Als er den
Ausdruck in den Augen der Sekretärin sah, fügte er hinzu: »Er ist dafür
bekannt, dass er von den Telefonen wichtiger Personen obszöne Anrufe
tätigt. Versuchen Sie, nicht hinzuhören – es würde Sie bloß
aus der Fassung bringen. Ich hole Hilfe.«
    Rasch ging er davon und nahm den Schlüssel mit.
    Als er in die Eingangshalle kam, trat gerade Emma Bradbury aus
dem Lift.
    »Boss, ich hab Sie gesucht.«
    »Was gibt's?«
    »Die Liste älterer Frauen, die im Küstenbereich von Essex
allein unterwegs sind, die, die Sie angefordert haben, ist
da – von den Hotels und Wohnungsvermittlungen und allen, bei
denen wir sonst noch nachgefragt haben. Die Auskünfte kommen per Fax
und E-Mail oder telefonisch. Ich hab die Liste von einem der PCs auf
die Namen der Toten hin überprüfen lassen, während sie immer länger
wurde, und einer davon ist ihm sofort aufgefallen: Daisy Wilson. Sie
hat angeblich vor zwei Monaten in Leyston-by-Naze eine Wohnung
gemietet, obwohl sie tot auf einem Seziertisch in Doktor Catheralls
Leichenhalle liegt.«
    Lapslie nickte. »Dort ist sie aufgewachsen. Da hat alles
angefangen. Was hat sie veranlasst, dorthin zurückzukehren?«
    Emma sah ihn an, als habe er soeben ein Kaninchen aus dem Hut
gezaubert. »Woher wissen Sie, dass sie dort aufgewachsen ist?«
    »Keine Zeit für Erklärungen. Ich fahre jetzt dorthin. Geben
Sie mir per SMS die Adresse durch, kümmern Sie sich um den ganzen
Kleinkram, der noch zu erledigen ist, und dann treffen wir uns in
Leyston-by-Naze. Und sagen Sie niemandem, wo ich hinfahre und warum.«
    Als Emma Bradbury wegging, hastete Lapslie aus dem Gebäude zu
seinem Wagen. Er schätzte, dass ihm nicht mehr als fünf Minuten
blieben, um vom Parkplatz herunterzukommen, ehe es Geherty gelang, sich
aus Rouses Büro zu befreien, oder ehe Rouse zurückkam und befahl, die
Tür aufzubrechen. Als er seinen Wagen erreichte, warf er Rouses
Büroschlüssel weg, startete durch und raste vom Parkplatz. Mit einer
Hand programmierte er das Navigationssystem auf Leyston-by-Naze, mit
der anderen steuerte er. Sein Handy klingelte während der nächsten
Viertelstunde acht oder neun Mal, doch er achtete nicht darauf.
Schließlich, als er auf der A12 ostwärts fuhr, meldete es mit einem
Piepen eine SMS, und er schmeckte bittere Schokolade.
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