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Kalter Schmerz

Kalter Schmerz

Titel: Kalter Schmerz
Autoren: Hanna Jameson
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Mann oder so nie. Wenn einer verheiratet ist, das kannst du echt knicken, glaub mir.«
    Es war seltsam, hier an Clare zu denken. Sie gehörte so unverrückbar in die Gedankenwelt, dass ich ihr Bild mit nichts Realem in Verbindung bringen konnte, mit meiner Familie oder konkreten Orten. In gewisser Weise fand ich es schlüssig, dass sie durch den Tod das bekommen hatte, was sie wollte: Sie konnte als Fantasie weiterleben, ohne Alter, ohne Versagen …
    Das Bild, das ich von ihr gezeichnet hatte, besaß ich noch. Mehr war mir nicht von ihr geblieben. Es steckte hinten in einem Notizblock, in einer Schublade, unter einem zweiten Block. Nur für den Fall.
    »O Gott, ich weiß«, sagte ich. »Du hast echt keine Vorstellung.«
    Ich sah, dass Mark vor sich hin grinste, aber er sagte nichts zu dem Thema.
    In der folgenden halben Stunde alberten wir herum und rauchten eine ganze Schachtel Zigaretten. Mark bemerkte als Erster, dass die Leute aus der Kirche kamen.
    Zuerst erschien der Sarg. Er wurde von Tonys Pilotenkameraden zum Leichenwagen getragen, der ihn zum Militärfriedhof fahren würde.
    »Soll ich dich mitnehmen?«, fragte ich Harriet und rutschte vom Grabstein in das feuchte Gras. »Ist kein Problem.«
    »Da kann ich nicht ablehnen. Ist auf jeden Fall besser, als mit Dad zu fahren.«
    Ich konnte mir nicht verkneifen, ihre Augen zu kontrollieren, suchte aus Gewohnheit nach vergrößerten Pupillen, konnte aber nichts erkennen. Ich war schlau genug, sie nicht darauf anzusprechen, aber ich war beeindruckt.
    Nachdem Harriet ihre Schuhe gefunden hatte, gingen wir zurück zu den anderen, und ich bereitete mich psychisch auf die Begegnung mit meinem Vater vor. Ich hoffte, und wenn nur für Mark, dass es nicht allzu peinlich werden würde.
    »Keine Sorge, dich lässt er heute bestimmt in Ruhe«, sagte Harriet, als könnte man meine Gedanken an meinem Gesicht ablesen. »Heute war ich an der Reihe, mich öffentlich zu blamieren.«
    »Danke.«
    »Hab mich für die Mannschaft geopfert.«
    Ich wunderte mich, wie viele Personen ich nicht kannte. Selbst die Gäste ohne Uniform waren mir fremd. Mir war nicht bewusst gewesen, dass Tony oder meine Eltern so viele Bekannte hatten.
    Ohne es zu wollen, erhaschte ich den Blick meines Vaters in der Menge, und mein Lächeln missriet zur Grimasse.
    »Hast du Knoblauch dabei?«, sagte Harriet höhnisch zu Mark.
    »Eher silberne Kugeln …«
    »Ich hab meine Tasche in der Kirche vergessen, bin sofort wieder da.« Sie klopfte mir auf den Rücken, als wolle sie mir Glück wünschen, und war verschwunden.
    Ich beobachtete Mark, der die Leute interessiert von oben bis unten musterte, und war froh, dass er mitgekommen war. Nicht nur weil er das Fahren übernehmen wollte und ich mich daher betrinken konnte, sondern weil es eine Erleichterung war, zumindest einen Menschen um mich zu haben, von dem ich wusste, dass er die Ruhe bewahrte. Er war unerschütterlich, der absolute Fels in der Brandung.
    »Ist das deine Mutter?«, fragte er mit einem Nicken.
    Mum stand wenige Meter entfernt und wurde von zwei Damen behelligt – Freundinnen von ihr, wie ich aus ihrem schottischen Akzent schloss. In dem Moment der Stille, bevor sie uns erreichte, stand ich plötzlich Dad gegenüber.
    Wir schwiegen betreten, doch wir bekamen es hin, uns die Hand zu geben.
    »Hattest du nichts zu sagen?«, waren die ersten Worte aus seinem Mund.
    »Nein, ich … Es war schön so, wie es war.«
    »Wir dachten, du würdest gar nicht kommen. Harri meinte, am Telefon hättest du nicht sehr überzeugt geklungen.«
    »Tja, du hättest mich ja auch selbst anrufen können.«
    Er sah mich zornig an, wollte weitergehen, dann entdeckte er Mark.
    »Willst du uns nicht vorstellen, Nic?«, sagte er.
    »Dad, das ist Mark. Mark, das ist mein Vater.«
    Marks Lächeln musste für jeden anderen überzeugend freundlich wirken, doch ich konnte daran ablesen, dass er meinen Vater auf den ersten Blick hasste.
    »Dein Arbeitskollege?«, fragte mein Vater.
    »Ja.«
    »Läuft die Arbeit?« Er musterte mich, registrierte den Anzug und die Rolex. »Brauchst du Geld?«
    Ich überlegte, ihm zu sagen, wohin er sich das stecken könne, aber es war nie die richtige Zeit, nie der richtige Ort. Ich konnte kaum noch Wut über sein Gerede aufbringen, ich empfand nur Mitleid.
    »Danke, aber mir geht’s gut.«
    Er nickte mir zu und ging weiter.
    Mark sah mich an, aber sagte nichts.
    Mir kam der Gedanke, dass woanders zwei Elternpaare eine Beerdigung für Pat und
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