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Kalter Schmerz

Kalter Schmerz

Titel: Kalter Schmerz
Autoren: Hanna Jameson
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meine lebhafteste Erinnerung. Das, und wie schnell ihre Stimmung umschlagen konnte.
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    Clare posierte vor der Webcam, justierte den Bildausschnitt, war noch immer nicht geübt im Umgang mit der Technik. Ihr Haar war zu Zöpfen geflochten. Sie drückte das Objektiv tiefer, so dass Arme und Brust zu sehen waren, und lehnte sich zurück, betrachtete sich.
    Das Licht war gedimmt, die Tür geschlossen, doch ich konnte das Wohnzimmer erkennen, bis zu der Ecke, wo das Regal stand.
    Clare sah sich eine Zeitlang an, zupfte ihr Haar zurecht und probierte verschiedene Einstellungen aus, dann fuhr sie sich mit einer Rasierklinge über die Innenseite des Unterarms. Es war nur ein leichter Schnitt, und sie beobachtete, wie es zu bluten begann, überprüfte, wie es im Film rüberkam. Es war nicht genug Blut, um auf dem Bildschirm sonderlich zu beeindrucken. Die schwache Beleuchtung machte es unkenntlich.
    Clare stand auf, nahm verschiedene Posen ein und drehte sich mehrmals im Kreis. Lächelnd zog sie den Saum ihres Kleides hoch, um ihre Beine zu bewundern.
    Die Wohnzimmertür wurde aufgerissen, der Raum überfallartig mit Licht geflutet.
    »Mum, Danny kommt gleich.« Emma stand mit verschränkten Armen in der Tür, das Haar zum Pferdeschwanz gebunden, an den Füßen dieselben Stiefel, die sie am Tag ihrer Ermordung getragen hatte.
    »Gut, Schätzchen.« Clare wollte die Musik abstellen, wich dem Blick ihrer Tochter aus.
    »Was ist das für ein Scheiß?«
    »Ich höre bloß Musik.«
    Verächtlich musterte Emma sie von oben bis unten. »Hast du nicht gesagt, du würdest damit aufhören?«
    »Womit?«
    »Mit diesem Scheiß an deinem Arm!«
    Clare hielt die Wunde zu, aber ließ sich nicht beeindrucken. »So redest du nicht mit mir, junge Dame, nicht in meinem Haus!«
    »Das ist ja so was von peinlich!«
    »Spiel dich nicht so auf, Emma. Ich hoffe, Danny will hier nicht übernachten.«
    »Mum, hör auf! Du bist echt total gemein!«
    »So redest du nicht mit mir!« Sie zeigte mit dem Finger aufihre Tochter. »Wage es nicht, sonst braucht Danny hier überhaupt nicht aufzutauchen!«
    »Was ist los? Kriegst du Probleme, wenn Dad nicht dabei ist und dich verteidigt?« Emma machte einen Schritt nach vorn. »Du bist so armselig, weißt du das? Was glaubst du eigentlich, was du bist, so ein beschissener Emo vielleicht?«
    »Ich meine es ernst! Wenn du so weitermachst, braucht er nicht zu kommen.«
    Clare wich ein Stück zurück, auf unsicheren Beinen, doch Emma folgte ihr. Die beiden so nah beieinander zu sehen, unterstrich nur noch, wie viel Ähnlichkeit Emma mit Pat hatte. Es war, als ob sie die Gene ihrer Mutter zurückwies, ebenso wie ihre Persönlichkeit und ihre Eigenheiten.
    Ich konnte nicht anders – Clare tat mir leid. Es tat weh zu sehen, wie ein so zerbrechlicher Mensch von einer der wenigen Personen, deren Meinung ihm wichtig zu sein schien, auseinander genommen wurde.
    »Ach, du bist so armselig! Führst dich auf, als wärst du eine arme gequälte Künstlerin, aber das bist du leider nicht!«
    »Emma, sei leise!« Clare legte die Hände über die Augen, spuckte die Worte aus. »Sei einfach leise, geh auf dein Zimmer …«
    »Von wegen, ich gehe zu Danny …«
    »Oh nein, das tust du nicht!« Clare wirbelte herum, ihre Stimme war schrill.
    »Na los, tanz doch noch ein bisschen vor dich hin, du scheiß Möchtegern-Ballerina.«
    Das erste, was Clare in die Hand bekam, war die Statue. Sie zog sie aus dem Regal, und bevor Emma reagieren konnte, schlug sie damit nach dem Kopf ihrer Tochter und traf sie an der Wange. Es war so viel Wucht dahinter, dass Emma sich am Türrahmen festhalten musste, um nicht zu stürzen. Fassungslos legte sie eine Hand auf ihre Wange.
    Clare brach in Tränen aus und ließ die Statue aufs Sofa fallen.
    »O Gott, mein Schatz, das tut mir so leid …«
    »Fahr zur Hölle!« Emma verschwand aus dem Blickfeld in Richtung Flur.
    Clare folgte ihr, flehte sie unter Tränen an. »Bitte, mein Schatz, bitte, es tut mir leid …«
    »Ich hasse dich! Na los, schnitz dir doch die scheiß Mona Lisa in den Arm, ist mir doch egal!«
    Die Haustür schlug zu. Clare kehrte ins Wohnzimmer zurück und setzte sich hin, weinte, laut und heftig. Nach einer Weile fiel ihr ein, dass die Kamera noch lief, und sie rutschte auf den Knien hinüber, um sie abzustellen. Kurz davor hielt sie inne, und ich merkte, dass sie sich wieder selbst betrachtete, dass sie betrachtete, wie sie beim Weinen aussah.
    Als Letztes sah ich
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