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Kalter Schmerz

Kalter Schmerz

Titel: Kalter Schmerz
Autoren: Hanna Jameson
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die Straße hoch und runter geschaut, eine Hand am Ärmel meiner Jacke, damit ich nicht stiften ging. »Ach, du lieber Gott …«, hatte er gesagt und mich ins Haus gezerrt.
    Ich wusste noch, dass er mich die Treppen hinauf ins Bad geschleppt, in die Wanne befördert und abgeduscht hatte, dass er immer wieder gesagt hatte: »Erzähl Mum und Dad bloß nichts davon, hast du verstanden? Wie konntest du bloß so dermaßen blöd sein? Erzähl das niemandem! Erzähl das niemandem !«
    Ich wusste noch, dass er das Blut abgewaschen, meine Klamotten weggeworfen und mir ein Alibi eingetrichtert hatte. Ich hatte geheult, bis mir der Kopf wehtat, und getan, wie er befahl. Doch als Dad von der Arbeit kam, beichtete ich ihm dennoch alles.
    Von da an sprach Tony nicht mehr mit mir. Erst als ich nach über drei Jahren aus der Haft entlassen wurde, stellte er sein Schweigen ein. Er war nicht mal zu Besuch gekommen, so gründlich hatte er sich verraten gefühlt. Er war der Ansicht, dass er versucht hatte, mir zu helfen, und ich seine Hand ausgeschlagen hatte.
    »Dein Einsatz hilft auch noch den Kindeskindern …«
    Meine Eltern waren davon überzeugt, dass jeglicher Vertuschungsversuch mein Werk gewesen war, und was anderes sollten sie auch nie erfahren. Wenn ich schon in jüngeren Jahren gewusst hätte, dass man einfach nur wie alle anderen lügen musste, stünden die Chancen jetzt besser, dass meine Beerdigung einmal wie diese hier aussehen würde.
    »Du warst ein Lebensretter, tatest so viel Gutes …«
    Vorne kam Unruhe auf, unterdrückte Stimmen …
    Mark setzte sich aufrechter hin, um einen flüchtigen Blick auf das Drama zu erhaschen.
    Harriet kam durch den Gang nach hinten, eine Hand vor die Augen gelegt, die überraschten Augenpaare ignorierend, deren Blicke ihr folgten. Sie trug ein schwarzes Kleid und hohe Absätze, in denen zu laufen sie nicht gewohnt zu sein schien.
    Auf dem Weg nach draußen trat sie einen Ständer mit Gesangbüchern um. Ich verharrte, halb auf meinem Platz sitzend, halb im Aufstehen begriffen, dann folgte ich ihr im Trab.
    Harriet stürmte nach draußen, über den Friedhof, hielt nur kurz an, um die hochhackigen Schuhe auszuziehen und einen davon gegen das nächste Grab zu schleudern. Sie zündete sicheine Zigarette an und setzte sich mit dem Rücken zu mir auf einen Grabstein.
    Zitternd zog ich den Mantel über meinem Anzug zu und rief: »Hey, ich will mein Geld zurück!«
    Sie sah sich um und verdrehte die Augen.
    »Ich hab, ehrlich gesagt, mit einem Feuerwerk gerechnet«, bemerkte ich und setzte mich neben sie auf den Stein. »Hast du noch eine?«
    Sie reichte mir eine Zigarette und gab mir Feuer.
    »Alles in Ordnung?«
    »Scheiße, nein …« Sie schniefte. »Ich hasse ihn so dermaßen, Nic. Ich kann nicht anders. Wenn ich diesen ganzen Scheiß höre, dann wird mir schlecht. Ich hab’s nicht länger ausgehalten.«
    Natürlich weinte sie nicht wegen Tony. Der einzige Grund, der ihr, schon als Kind, Tränen entlocken konnte, war Wut. Näher kam sie menschlichen Gefühlen nicht.
    »Ich rede mir gerne ein, dass es ihm lieber wäre, wenn wir einfach losziehen und uns zulaufen lassen würden.« Ich schielte nach dem Namen des Mannes, auf dem wir saßen. »Ist das eigentlich eine Beleidigung der Toten, Mr. … Lionel Charles Carthew?«
    Mark war zu uns getreten und hievte sich neben mich auf den Grabstein, zündete sich mit belustigtem Ausdruck seine eigene Zigarette an. »Ach, ich glaube, er genießt die Gesellschaft.«
    »Harri, das ist Mark. Mark, das ist meine Schwester Harri.«
    Harriet reckte den Hals und streckte die Hand an mir vorbei aus. »Freut mich, dich endlich kennenzulernen. Entschuldige diese Kotzorgie.«
    »Ach, hab nichts gegen eine gute Beerdigung.« Mark zog an seiner Zigarette und drückte meine Schulter. »Und damit meine ich Essen bis zum Abwinken.«
    »Trinken auch, hier geht noch voll die Post ab.« Harriet zwinkerte mir zu. »Der ist cool.«
    »Du willst also nichts sagen?«, fragte ich.
    »Nein, das haben die Army-Typen schon erledigt. Außerdem würde ich meine Grabrede eh nicht zu Ende bringen. Von dem Geruch des brennenden Märtyrers müsste ich die ganzen Zeit würgen.« Sie schlug mit den Fersen gegen den Stein, an ihrem großen Zeh begann sich eine Laufmasche zu bilden. »Hey, wie läuft es mit dieser verheirateten Frau?«
    Ich tauschte einen kurzen Blick mit Mark.
    »Ist nichts draus geworden.«
    »Übel … Aber so läuft das meistens – die verlassen ihre Frau, ihren
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