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Kalter Grund - Almstädt, E: Kalter Grund

Kalter Grund - Almstädt, E: Kalter Grund

Titel: Kalter Grund - Almstädt, E: Kalter Grund
Autoren: Eva Almstädt
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schwang ein Bein über den Rand und spielte einen kurzen Moment mit dem Gedanken, das Boot zum Kentern zu bringen. Da sie aber nicht wusste, wie viel Kraft dafür nötig wäre, und Bettina einen Fehlversuch vielleicht mit ihrem Leben bezahlen musste, verwarf sie ihn wieder. Die Kälte des Wassers an ihren Füßen und Waden ließ ihr den Atem stocken und diese in Sekundenschnelle taub werden.
    Jens stieg ebenfalls aus und trieb Bettina vor sich her. Dieschmerzhafte Kälte schien er nicht einmal zu spüren. Er vertäute das Boot kurz an einem im Wasser liegenden Baumstamm und dann standen sie am morastigen Ufer der Insel. Jens zog Bettina zu sich heran.
    »Komm her, Teuerste, küss mich ein letztes Mal.« Er küsste sie hart auf den Mund und ließ sie abrupt wieder los. Bettina sah aus, als hätte sie einen elektrischen Schlag bekommen.
    »Ich wünsche einen schönen Aufenthalt. Hier seid ihr ungestört, nehme ich an.« Damit wandte sich Petersen zum Gehen. Das Messer hielt er immer noch in der einen Hand, die andere würde er gleich brauchen, um das Boot wieder loszumachen. Es war nur ein Messer, keine Pistole, über die Distanz relativ nutzlos. Pia erkannte in einem Anflug von Panik, dass sie nicht auf dieser Insel bleiben wollte.
    Es war nicht die Angst vor Kälte und Einsamkeit, es war die Furcht davor, vollständig versagt zu haben. Wenn Jens Petersen jetzt auf Nimmerwiedersehen verschwand, wäre das ihre Schuld. Den Ausschlag gab die Erinnerung an Heinz Broders’ Bemerkung. Sie hörte seine verächtliche Stimme und sah wieder den Hass in seinem Blick: »Hau bloß wieder ab, Schätzchen, du wirst es hier nie schaffen ...«
    Wenn Petersen erst mal im Boot säße und wegruderte, wäre alles zu spät. Pia musste sich in Bruchteilen von Sekunden entscheiden. Während er ins Ruderboot stieg, ließ seine Aufmerksamkeit einen Augenblick nach. Er musste das Messer in die linke Hand wechseln und ihnen den Rücken halb zudrehen. Pia hechtete nach vorn, stieß hart gegen ihn und sie landeten beide mit einem lauten Klatscher im eiskalten Seewasser. Im ersten Moment blieb ihr die Luft weg. Die Kälte fuhr ihr bis in die Knochen und verursachte einen durchdringenden Schmerz. Petersen landete fast auf ihr; sie konnte sich erst im letzten Moment unter ihm wegdrehen.
    Er war jedoch viel zu schnell wieder auf den Beinen und hielt das Messer immer noch drohend in der Hand. Pia versuchte ebenfalls, auf die Füße zu kommen. Ihr Fuß hatte sich in einer Art Schlinge unter Wasser verfangen. Sie machte sich auf den Gegenangriff gefasst, hatte nichts in ihren Händen, mit dem sie sich hätte verteidigen können. Jens kam mit einem irrsinnigen Grinsen im Gesicht auf sie zu. Pia fragte sich, wie sie sein Aussehen jemals angenehm hatte finden können.
    Das war’s wohl. Was für eine ekelhafte Art zu sterben, dachte Pia verwundert. Sie spürte, wie ihr auf Grund von Kälte und Schock die Kräfte schwanden und ihr Gesichtsfeld sich verengte. Jens Petersen wechselte das Messer, das er sonst bestimmt zum Ausweiden von Rehen und ähnlicher Jagdbeute benutzte, zurück in seine rechte Hand.
    Plötzlich schoss etwas in Pias Blickfeld, wurde emporgerissen und krachte splitternd auf Petersens Hinterkopf. Es war ein schwerer Ast, geführt von Bettinas Hand. Petersen taumelte, kam noch einen Schritt auf Pia zu und verdrehte die Augen. Bitte brich zusammen, betete Pia, als die Sekunden sich dehnten. Petersen blieb breitbeinig stehen wie ein gut verwurzelter Baum. Er fasste sich mit der linken Hand an den Hinterkopf. Er bleckte die Zähne und das Messer fiel ihm aus der Hand. Endlich ging er in die Knie und sackte in sich zusammen. Pia rappelte sich hoch, erbärmlich weich in den Knien. Dann riss sie sich zusammen:
    »Komm schon, los, schnell!«, rief sie der unter Schock stehenden Bettina Rohwer zu, während sie sich durchs morastige Wasser kämpfte. Im Boot stemmten sie sich mit aller Kraft mit dem Ruder vom Grund ab. Pias Blick war auf Jens Petersen gerichtet, der schon wieder schwankend auf die Füße kam.
    »Du gottverdammtes Luder, bleib hier«, brüllte er.
    Pia riss Bettina das zweite Ruder aus der Hand und begann, wie wild zu rudern.
    Petersen versuchte tatsächlich, hinter ihnen herzuschwimmen. Nach ein paar Zügen gab er auf. Er reckte noch einmal drohend die Faust. Vor der Schwärze der Inselbäume war er bald nicht mehr zu sehen.

33. KAPITEL
    D er Rückweg von der Insel Rotten Warder ans Festland wurde für Pia die längste Viertelstunde
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