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Im Keller

Im Keller

Titel: Im Keller
Autoren: Inge Lempke
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Kapitel  1
     
    Dienstag, 13. April
    Fast hätte Claudia es nicht geschafft, den Schlüssel ins Schloss zu stecken, so sehr zitterte ihre Hand. Sie riss die Autotür auf und ließ sich auf den Fahrersitz fallen. Herr im Himmel, als Krankenschwester bekam sie ja einiges zu sehen, aber das hier! Das war heftig gewesen. He ftig und unerwartet. Ja, so etwas erwartete man einfach nicht im Haus der verstorbenen Tante!
    Claudia lehnte sich zurück an die Kopfstütze und schloss für ein paar Sekunden die Augen. Aber sofort war das Bild dieser Füße wieder da. Schleunigst riss sie die Augen auf, holte ihr Ha ndy aus der Tasche und tippte die Nummer der Polizei ein.
     
    Etwa eine Stunde zuvor:
    Claudia ließ das Seitenfenster ganz herunter, als sie an der Ampel halten musste. Sie war ve rärgert. Erst die Patzigkeit von Jasmin am frühen Morgen, und vorhin die Nörgelei von Dr. Klugscheißer im Krankenhaus! Und dann diese Hitze, die gab ihr den Rest!
          Doch es ging noch besser: sie war unterwegs zu dem Häuschen, das sie von Tante Carmen El isabeth geerbt hatte, und sie hatte keine Ahnung, was sie erwartete. Jedenfalls nichts Gutes - das schloss sie aus dem Zustand ihrer Tante, die sie nach fast 20 Jahren zum ersten und letzten Mal im Krankenhaus wiedergesehen hatte.
    Claudia seufzte und fuhr weiter. Die Kastanien an den Alleen trugen pralle Knospen, Büsche und Blumen blühten grellgelb, die Sonne schien vom stahlblauen Himmel, es roch nach Sommer, aber auch das hellte Claudias Stimmung nicht wirklich auf.
    Man munkelte, Tante Carmen habe nach dem mysteriösen Verschwinden ihres einzigen Sohnes vor gut 24 Jahren stückchenweise den Verstand verloren. Auf jeden Fall hatte sie sich immer mehr von der Außenwelt abgeschottet. Und so war das Haus vermutlich komplett verrottet, und für die Renovierung musste mehr Geld investiert werden, als das Gemäuer wert war! Aber Claudia hatte kein Geld zum Investieren!
    Denk positiv, Claudia Elfrun! , ermahnte sie sich. Vielleicht hat Tante Carmen im Alter einen Putz- und Renovierfimmel entwickelt, und die Behausung ist top in Ordnung!
    Eine der Rheinbrücken kam in Sicht. Die harfenartige Stahlseilkonstruktion zeichnete sich fili gran vor dem blauen Himmel ab. Die Überquerung der Brücke verlief im Schritttempo, aber eine Viertelstunde später lichtete sich der Verkehr, und Claudia erreichte einen Stadtteil, der als solcher kaum noch zu identifizieren war: hier sah es dörflicher aus als im schlimmsten Kaff in der Eifel!
    Dann bog sie in die Straße ein, in der das Haus stand: eine Sackgasse mit alten, kleinen Hä usern, großen Gärten und ausladenden Bäumen, die die Straße säumten und in den letzten 20 Jahren ordentlich gewachsen waren.
    Claudia hielt Ausschau und ja - da war es. Ein Fachwerkhaus mit grünen Fensterläden, die dringend einen Anstrich gebraucht hätten, mit brauner Holztür, die auch deutlich bessere Ze iten gesehen hatte und mit geradezu antiken Sprossenfensterchen, von deren Rahmen der Lack nur so abplatzte. Mist, genauso hatte sie sich das vorgestellt!
    Sie parkte am Straßenrand, stieg aus und ging, in der Tasche nach dem Schlüssel suchend, auf das Haus zu. Im völlig verwilderten Vorgarten blieb sie einen Moment stehen und schaute zum Fenster rechts neben der Tür hi nüber.
    Die gelbliche Gardine weckte bruchstückhafte Erinnerungen an ihren letzten Kurzb esuch bei Tante Carmen Elisabeth: kleine Räume mit niedrigen Decken, selbst am Tag so dunkel, dass immer eine Lampe brannte, natürlich bestückt mit einer 25-Watt-Birne; dunkelbraune, klobige Möbel, braunstichige Bilder an den Wänden; die Luft kühl und angereichert mit einem Hauch von Moder, Zigarettenrauch und Zitronenduft aus der Spraydose; die Tante selbst: mittelgroß, rundlich, schwarze Haare, zum Knoten geschlungen, Lippenstift in der falschen Farbe, immer mit dunkelbrauner Strickjacke unterwegs; die Atmosphäre schwer, schwer, tonnenschwer; zuerst der frühe Tod des Ehemanns, dann das unerklärliche Verschwinden des Sohnes, beides lastete auf der Seele der Tante und auf jedem Zimmer wie die Wassermassen des Ärmelkanals auf dem Euro-Tunnel.
    Tante Carmen schien nichts anderes mehr in ihrem strapazierten Hirn zu haben als ihre Trauer, denn sie servierte Claudia und ihrem damaligen Freund einen verwässerten Kaffee und Butterkekse aus dem Mittelalter. Claudia schüttelte sich inne rlich jetzt noch.
    Von außen, urteilte sie, schaute das Bauwerk eigentlich gar nicht so übel aus. Und
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