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Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Titel: Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten
Autoren: Werner Toporski
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geht es die Treppe rauf in die Betten. Die Anziehsachen müssen immer ordentlich auf dem Stuhl liegen, das kontrolliert Mama, und wenn sie nicht zufrieden ist, muss ich wieder aus dem gerade angewärmten Bett raus. Im letzten Winter habe ich manchmal probiert, dabei die blöden Strapse für die langen Strümpfe, die immer so an den Oberschenkeln scheuern, verschwinden zu lassen, aber Mama hat das immer gemerkt und jedes Mal auch das Versteck gefunden.
    Jetzt liegen wir in unseren Betten und warten auf Mamas Gutenachtkuss. Den gibt es allerdings erst, wenn alle da sind, und Huppe lässt sich immer so schrecklich viel Zeit.
    »Huppe! – Wo bleibst du denn?!«
    Immer muss er der Letzte sein und uns alle warten lassen!
    Auf der Treppe sind Mamas Schritte zu hören. Dann hören wir sie mit den Kleinen das Nachtgebet beten und ihnen ein Schlaflied singen. Huppe und ich kriegen nur den Kuss und beten tun wir allein.
     
    Heute ist ein Brief von Papa gekommen, so ein Feldpostbrief ohne Kuvert, bei dem man das Blatt falten und zukleben muss, sodass man nur die Innenseite beschreiben kann. Sonst hat Mama uns seine Briefe immer vorgelesen, und meist hat Papa geschrieben, dass es ihm gut geht und wir uns keine Sorgen machen sollen, und manchmal hat er ein paar Sätze an uns Kinder geschrieben. Heute hat Mama ein ganz ernstes Gesicht gemacht, uns nur seine Grüße bestellt und ist aus dem Zimmer gegangen. Das hat sie noch nie gemacht.
    Ich sitze wieder allein unter dem Maulbeerbaum und frage mich, was der Brief zu bedeuten hat. Passiert ist Papa nichts, das hätte sie uns gesagt. Also muss es etwas anderes sein. Er muss etwas geschrieben haben, was Mama Sorgen macht. Sorgen um Papa? Kann sein, aber das wäre nicht neu, denn Sorgen macht sich Mama, seit er eingezogen worden ist, und das hat sie noch nie so gezeigt. Also Sorgen um etwas anderes. Aber was?
    Irgendetwas ändert sich, ohne dass ich sagen könnte, was. Manchmal sind es Blicke, die Mama und Lisa tauschen, manchmal ist es ein plötzliches Schweigen, wenn ich in die Küche komme.
    Ich frage den Maulbeerbaum, aber natürlich weiß der auch keine Antwort. Seine Blätter tragen ein anderes Grün jetzt, obwohl immer noch Sommer ist. Mir ist, als könnte ich das Gelb schon ahnen, das in wenigen Wochen daraus geworden sein wird.
    Die Knie angezogen, sitze ich an seinem Stamm und zeichne mit einem trockenen Zweig etwas in den Sand. Ich habe nichts Bestimmtes zu malen vor, also wird ein Bogen daraus. Eine Brücke, denke ich, eine Brücke von hier nach da. Ich lasse uns verreisen und male Pferd und Wagen dazu. Es wird nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe, und ich wische mit dem Fuß alles wieder aus.
    In den Beeten um den Maulbeerbaum und unter den Sträuchern schaue ich nach, ob ich noch rote Spinnen finde. Aber es gibt keine mehr.

UNRUHIGE WEIHNACHT
    Jetzt sind die Bäume schon gelb und manche haben kaum noch Blätter. Oft liegt Nebel über dem Land, und dann kommt die Sonne nur für ein paar Stunden zum Vorschein, wenn überhaupt. Wenn sie scheint, ist es noch warm, aber sonst ist es ungemütlich und wir spielen lieber im Haus.
    Drinnen ist es jetzt behaglich, auch wenn die letzten Tage ziemlich turbulent waren. Walter, unser Kleinster, wird getauft und da räumen Mama und Lisa das Unterste zuoberst. Dass die Taufe ein großes Fest werden soll, ist ja klar, aber dass man dann gleich die ganze Wohnung auseinander nehmen muss, bloß damit alles schön sauber ist, werde ich wohl nie begreifen. Jedenfalls müssen wir immer irgendwo aus dem Weg gehen oder bei irgendetwas helfen.
    Es sind viele Gäste da. Auch unser Opa aus Schlesien ist gekommen, um die Taufe vorzunehmen, denn er ist evangelischer Pfarrer. Aber die größte Überraschung war, dass auch Papa Urlaub bekommen hat. Wir sind fast an die Decke gehüpft vor Freude! Wie lange haben wir ihn nicht mehr gesehen! Immer wieder muss ich ihn anschauen, weil ich es noch gar nicht richtig glauben kann.
    Aber Papa ist irgendwie anders, nicht so fröhlich wie sonst, und Mama auch nicht. Wahrscheinlich müssen sie beide immer daran denken, dass Papa gleich nach der Taufe wieder an die Front fahren muss. Zwar versucht er, zu uns Kindern so wie immer zu sein, aber wenn er sich unbeobachtet glaubt, hat sein Gesicht tiefe Falten, mehr als früher. Es ist, als ob eine Last auf ihm läge, die er nicht loswird.
    Mich macht das ganz unruhig.
    Trotzdem ist die Taufe schön und unser Opa sieht in seinem Talar sehr würdevoll aus. Es ist
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