Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Titel: Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten
Autoren: Werner Toporski
Vom Netzwerk:
ich fast stolpere.
    »Was sind das für Leute?«, frage ich. »Und warum will der Soldat nicht, dass wir ihnen zu essen geben?«
    Mama scheint gar nicht richtig zu hören. Mehr zu sich selbst sagt sie: »Sie lösen die Lager auf!« Und dann fügt sie noch hinzu: »Dass es so grässlich ist, hätte ich mir niemals vorstellen können!«
    Erst jetzt merkt sie, dass ich sie etwas gefragt habe, und sagt: »Das sind Gefangene, die nach Deutschland marschieren müssen. Und die in Uniform, das sind keine Soldaten, das ist die Wachmannschaft von der SS.«
    Nach Einbruch der Dunkelheit kommt eine Gruppe sogar zu uns auf den Hof. Mama stimmt zu, als die Wache um Lagererlaubnis bittet. Im Stall lagern sie sich auf den Boden, und wer dort keinen Platz findet, muss draußen bleiben. Viele der Häftlinge haben dünne Kleidung und nur wenige besitzen eine Decke. Die draußen lagern sich eng aneinander und suchen Schutz an einer Hauswand, denn es ist entsetzlich kalt.
    Ich schlafe nicht ein, weil ich immer an die Menschen da draußen denken muss. Mitten in der Nacht merke ich, wie Mama sich hinausschleicht, um im Schutz der Dunkelheit den Häftlingen noch so viel wie möglich zuzustecken. Als ich sie am Morgen darauf anspreche, meint sie, es sei nicht mehr als ein Tropfen auf einen heißen Stein gewesen.
    Und darüber, dass es verboten war, habe ich mich noch lange nicht beruhigen können. 3

VORBEREITUNG ZUR FLUCHT
    Es ist ungemütlich im Haus, niemand ist mehr da. Papa sowieso nicht, aber daran hat man sich beinahe schon gewöhnt. Aber dass auch Lisa fehlt, das merken wir: Es gibt keinen mehr, den man schnell was fragen kann, der einen auch mal tröstet, wenn man es braucht. Vor allem: der einen mit seinem Lachen ansteckt! Mama ist natürlich da, aber mir kommt es vor, als ob sie sich richtig in die Arbeit hineinwühlen will. Überall will sie gleichzeitig sein, auf dem Hof, im Stall, in der Remise, und dazu kümmert sie sich auch noch um die Küche, näht, stopft Socken und macht sauber. Und wenn sie irgendwo einmal fertig ist, rennt sie gleich wieder woandershin.
    Und noch etwas tut sie: Immer wieder legt sie etwas zurecht, sorgfältig eins zum anderen, und überall bilden sich Stapel. Alles Sachen, die wir brauchen würden, wenn wir wirklich einmal wegfahren müssten. Vorstellen kann ich mir das immer noch nicht.
    Das Schlimmste ist, dass die drei Kleinen fort sind. Das macht das Haus so leer und so unheimlich still. Gut, dass wenigstens Huppe und Wolfi noch da sind. Aber nur die zwei, das ist einfach zu wenig! Klar kann man auch zu dritt spielen, und auch früher sind wir ja nie alle sechs zusammen gewesen, Walter sowieso nicht. Aber irgendetwas fehlt, niemand platzt herein und kräht dazwischen, niemand lacht im Hintergrund oder weint, alles ist so ruhig, so tot. Nur wir drei Übriggebliebenen.
    Es ist nicht nur still, es ist auch kalt im Haus. Vielleicht kommt es mir auch nur so vor, denn natürlich ist es in der Küche warm wie immer, und in dem Zimmer, wo wir immer alle zusammen sind, wo wir wohnen, spielen und essen, ist der Ofen auch warm. Aber oben das leere Kinderzimmer bleibt ungeheizt, und ich finde, dass auch unseres jetzt kälter ist. Huppe meint das auch, und wir frösteln drinnen schon so, dass nicht mal der herrliche Schnee es schafft, uns ins Freie zu locken. Irgendwie sind wir lustlos und einfallslos, und vielleicht ist es ganz gut, dass wir, seit Lisa weg ist, mehr im Haushalt helfen müssen.
    Es liegt etwas Drohendes in der Luft, etwas, das sich nicht greifen lässt, das aber allgegenwärtig ist. Gestern beim Einkaufen habe ich im Lädchen die Leute sagen hören, dass »der Russe« kommen wird, dass er schlimm und gefährlich ist und Mord und Totschlag mit sich bringt. Und auf die Polen rundum könne man sich auch nicht verlassen, die warteten doch nur auf eine Schwäche der Deutschen; wer weiß, was die alles anstellen würden, wenn »es so weit ist«. Vielleicht sind die Russen ja wirklich schlimm, doch die Polen, die ich kenne, sind eigentlich nett. Aber ich kenne natürlich nicht viele.
    Alle scheinen Angst zu haben. Dabei sagt Mama, wir sollten uns nicht aufregen. Alles sei in Ordnung, und die Gauleitung habe bekannt gegeben, dass kein Grund zur Sorge oder gar zur Flucht bestehe. Wenn überhaupt ein zeitweiliges Verlassen der Region einmal angeraten sein sollte, so ähnlich haben die sich wohl ausgedrückt, dann würde das öffentlich bekannt gegeben. Man habe schon Vorsorge getroffen, dass ein solcher
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher