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Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Titel: Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten
Autoren: Werner Toporski
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vorübergehender Rückzug geordnet abliefe und dass ausreichende Transportkapazität bereitgestellt würde.
    Und Huppe sagt, dass der Führer nur auf den richtigen Augenblick warte, um die Wunderwaffen einzusetzen. Das sei dann so etwas Ähnliches wie die V1 oder die V2, von denen er mir Bilder in der Zeitung gezeigt hat. Die schießen sie jetzt nach England, und wo die hinfliegen, da gehen ganze Häuserblocks kaputt. So ungefähr wären auch die Wunderwaffen, bloß noch viel schlimmer, und damit würden alle Feinde vernichtet und Deutschland würde siegen.
    Abends frage ich Mama, ob die Russen kommen werden oder ob Huppe mit den Wunderwaffen Recht hat.
    Sie blickt mich gar nicht an, als sie antwortet: »Die Wunderwaffen, ja … vielleicht helfen sie uns ja wirklich.«
    Als ich schon fast aus der Tür bin, höre ich noch, wie Mama zu sich selber sagt: »Noch so ein Flämmchen Hoffnung, an dem man sich wärmen kann. An irgendwas muss man sich ja wärmen, wenn die Welt so kalt geworden ist.«
     
    Staszek ist im Stall beim Schweinefüttern und ich helfe ihm. Schweine fressen so ziemlich alles, deshalb bekommen sie einen großen Teil der Küchenabfälle, aber auch noch anderes, gekochte Futterkartoffeln zum Beispiel.
    Ich helfe gern, weil es mir Spaß macht, mit Tieren zusammen zu sein. Ich beobachte sie gern, und ich weiß auch von jedem irgendetwas Besonderes, sodass ich sie alle unterscheiden kann. Selbst Mama fragt mich manchmal, woher ich bloß weiß, welches Viech das gerade ist.
    Aber ich helfe auch gern, weil ich Staszek mag. Nicht wegen seiner Flüche, die sind mehr Zugabe, sind lustig, und oft macht er ja auch einfach eine Schau daraus. Aber er ist fröhlich und ungezwungen und uns Kinder behandelt er nie von oben herab.
    Jetzt sind wir hier fertig und Staszek schmeißt den Eimer in die Ecke. Aber er zielt so gut, dass er genau an der richtigen Stelle stehen bleibt.
    »Was machen wir jetzt?«, frage ich.
    »Nix, Lena. Kannst gehen. Ich gucke Fuhrwagen an. Wagen muss gut sein, wenn fahren.«
    Also ist es schon entschieden! Trotzdem frage ich: »Fahren wir wirklich?«
    Staszek nickt ernst. »Müssen fahren, Russe kommt.«
    Es ist ein merkwürdiges Gefühl, das da in mir hochkommt. Nicht Angst. Eher Spannung: Wie das wohl ist, mit dem Wagen unterwegs zu sein? Und wo wir dann wohl hinkommen werden? Auf jeden Fall dahin, wo uns nichts mehr passieren kann.
    Auf dem Hof ist es ganz ruhig, als ich wieder zum Haus hinübergehe. Aber als ich an der Waschküche vorbeikomme, stutze ich: Die Tür ist offen, und von innen höre ich irgendwelche Laute, die ich nicht deuten kann. Es klingt wie Weinen, aber doch anders, jedenfalls nicht wie Kinderweinen. Vorsichtig gehe ich hin und öffne die nur angelehnte Tür.
    Und bleibe wie angewurzelt stehen.
    Drinnen am Waschtrog steht, nein, kauert Mama mit vor die Augen geschlagenen Händen und weint. Weint unaufhörlich. Nie habe ich Mama bisher weinen sehen, höchstens mal eine einzelne Träne, aber mehr nicht. Nicht einmal vorstellen hätte ich mir können, dass Mama so weint! Sie ist es doch, zu der man sich manchmal geflüchtet hat, wenn einem selber zum Heulen zu Mute war. Und das hier ist mehr als Weinen, es ist, als bräche aus Mama etwas heraus, etwas, das zu gewaltig ist, als dass sie es beherrschen könnte.
    Ich bin starr vor Schreck. Weiß überhaupt nicht, was ich tun soll.
    »Mama!«, rufe ich. »Mama! – Was ist?«
    Aber sie reagiert kaum. Richtet sich nur ein bisschen auf, um unvermindert weiterzuweinen.
    »Ist etwas passiert? Was ist denn?«
    Immer noch stehe ich in der offenen Tür und schaue auf die tränenüberströmte Mama. Ich verstehe das nicht, und auf einmal bekomme ich Angst, schreckliche Angst. Es ist wie ein Albtraum, und plötzlich habe ich das Gefühl, Mama könnte sterben, jetzt gleich.
    »Mama!«, rufe ich noch einmal, schreie es jetzt fast und stürze auf sie zu. Sie schließt mich in ihre Arme und presst mich an sich, auf eine Art, wie sie mich noch nie umarmt hat. Noch immer ist sie unfähig, ein Wort zu sagen.
    Nach einer Weile schickt sie mich wortlos hinüber ins Haus.
    Als wir später allein in der Küche sind, macht sie die Tür zu, damit kein anderer zuhört.
    »Es war die Seife, Lena«, erklärt sie mir. »Die Seife taugt nichts und ist so gemein scharf, dass meine Hände ganz fürchterlich wehgetan haben. Und da habe ich weinen müssen.«
    Und das soll ich glauben!
    »Zeig mal …«, sage ich und schaue mir ihre Hände an. Es ist nichts
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