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Kalte Haut

Kalte Haut

Titel: Kalte Haut
Autoren: Marcel Feige
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ihren Schläfen. Was ist geschehen? Sie versuchte sich zu erinnern, doch vergeblich. Ein Rascheln lenkte sie ab.
    Wer ist da ?, wollte sie fragen, brachte aber kein Wort heraus. Erst jetzt spürte sie den Knebel, der zwischen ihren Lippen klemmte. Ihre Zunge schmeckte den Stoff. Der süße Geruch!
    Plötzlich setzte die Erinnerung wieder ein. O Gott! Sie hob die Arme zum Gesicht und brauchte einen Moment, um zu bemerken, dass sie ihrem Befehl nicht folgten. Langsam begriff sie, dass ihre Hände ebenso wie ihre Beine gefesselt waren. Sie zog an den Seilen, erst langsam, dann immer heftiger, doch sie gaben nur wenige Millimeter nach.
    Tanias Bewegungen erstarben. Regungslos blieb sie auf der Bahre liegen. Die Bahre. Sie wusste, um welche Bahre es sich handelte – und in welchem Raum sie stand.
    Seltsamerweise ließ sie das Wissen kalt. Was nutzt es dir? Eine innere Ruhe stellte sich ein. Vielleicht war es gut, dass es so, auf diese Weise, mit ihr endete. Dass es endlich endet! Es gab ohnehin nichts mehr, wofür es sich noch zu leben lohnte. Hagen war tot, daran gab es keinen Zweifel.
    Draußen wurden Schritte lauter. Eine Tür wurde geöffnet, und im gleichen Augenblick flammte eine Lampe auf. Nein, ein Scheinwerfer. Sein grelles Licht bohrte sich in Tanias Augen. Sie war blind, doch sie hörte noch, wie sich jemand ihr näherte.
    Robert, bist du das?
    Aus ihrem Mund drang nur ein dumpfes Grunzen. Eine Hand legte sich beschwichtigend auf ihr Gesicht, streichelte liebevoll ihr Haar, die Stirn, verharrte über ihrer Nase. Tania hielt den Atem an. Wird er mich ersticken?
    Dann fiel ihr ein, wie Lahnstein und Bodkema ums Leben gekommen waren. Und Hagen! Aber an ihren Freund wollte sie nicht denken. Nicht an Hagen. Nicht an seinen Tod. Doch die Bilder ließen sich nicht verdrängen, und Verzweiflung übermannte sie. Sie wollte nicht mehr sterben. Nicht auf diese grauenhafte, schmerzhafte Weise.
    Die Hand entfernte sich abrupt, und mit hektischem Scharren eilte ihr Besitzer davon. Die Tür fiel mit einem Knall ins Schloss. Stille erfüllte wieder den Raum. Todesstille. Wie lange?
    Wieder hörte Tania Schritte, langsam, vorsichtig. Etwas knirschte, dann zerbarst die Tür mit einem fürchterlichen Knall, und ein schwarzer Schatten taumelte auf sie zu.

121
    Der Raum war finster, schwarz gestrichen, nur in einer Ecke gab es einen hellen Fleck. Das Poster eines Flugzeuges. Eine Boeing.
    Dann bemerkte Robert an der Wand gegenüber noch mehr helle Punkte, die sich unregelmäßig über den Beton verteilten. Er brauchte einige Sekunden, bis er begriff, was dort an die Wand genagelt war: menschliche Haut, wie ein Overall vom Leib gezogen. Dazwischen hingen ausgeschnittene Zeitungsartikel. Auf einem kleinen Tisch vor der Wand lagen ein Laptop und ein Handy. Und in der Zimmermitte, angestrahlt von einem Baustellenscheinwerfer, stand der Foltertisch. Doch noch mehr entsetzte ihn der Anblick der Person, die gefesselt auf der Bahre lag.
    »Tania!« Robert stürzte auf sie zu. »Ist alles in Ordnung?«
    Sie stöhnte. Sie lebte. Nur das Stück Stoff in ihrem Mund hinderte sie am Sprechen.
    »Es wird alles gut«, versicherte Robert und befühlte ihre heiße Stirn.
    Schnell befreite er sie von dem Knebel. Sie japste nach Luft, würgte und spuckte. Währenddessen nahm er sich die Fesseln an ihren Händen vor. Plötzlich spürte er hinter sich die Anwesenheit einer weiteren Person. Er duckte sich, wirbelte herum, bereit, einen Angriff zu parieren.
    Aber es war nur sein Bruder, der im Raum stand. Der Scheinwerfer tauchte ihn in Licht wie einen Künstler, ein Musiker, der sein Podium betrat. Sein Schatten fiel auf die Zeitungsartikel an der Wand.
    »Max, woher …?« Roberts Stimme versagte.
    Er starrte seinen Bruder an. Ich habe doch gestern noch jemanden auf dem Grundstück gesehen. Die Wahrheit war schwer zu begreifen. Vielleicht haben Sie meinen Bruder gesehen.
    »Max, hast du …?«
    Max nickte. »Die Zeit heilt eben nicht alle Wunden.«
    »Du hast diese schrecklichen Morde begangen?«
    »Irgendjemand musste doch eingreifen.«
    »Robert!«, schluchzte Tania.
    Ihre Stimme war nur ein entferntes Wimmern. In Robert stieg Verzweiflung auf wie ein heißes Feuer. »Was redest du da, Max?«
    »Ich habe es für dich getan.«
    »Du wirst dafür ins Gefängnis gehen.« Das Blut kochte in Roberts Kopf. In seinen Ohren rauschte es. Er glaubte, den Verstand zu verlieren, kämpfte gegen die Verzweiflung an.
    »Robert!«, schrie Tania.
    »Mach dir
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