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Kalt ist der Abendhauch

Kalt ist der Abendhauch

Titel: Kalt ist der Abendhauch
Autoren: Ingrid Noll
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wir folgen. Nur Mario bleibt zurück.
    Aus der Küche brodelt und dampft es. Felix wundert sich über die vielen Kerzen, die leichtsinnigerweise während unserer Abwesenheit weiterbrannten. Aber die Aussicht auf ein anständiges italienisches Essen läßt ihn seine Fragen vergessen. Gemeinsam mit Cora deckt Felix den Tisch. Nach der kräftigen Gemüsesuppe gibt es Thunfisch mit eingelegten Tomaten und geröstetem Weißbrot, gebratene Tauben, Pilze, Radieschensalat und zum Schluß eine hauchzarte Zabaione. »Weine-schaume-creme!« strahlt die Köchin. So gut und so viel habe ich seit Jahren nicht mehr gegessen. Diese Emilia ist eine Hexe: Sie versteht es, durch schmackhafte Küche - den Wein sollte ich keinesfalls vergessen, obgleich er für meinen Geschmack nicht süß genug ist - die Totengeister zu bannen.
    Hugo und Felix betrinken sich ein wenig. Felix stößt immer wieder »auf den toten Hund« an, Hugo kontert: »Auf unseren Bernardino!« Dabei kichert der Alte wie ein Backfisch, ich schäme mich fast und bitte um etwas mehr Pietät. Felix versteht meine humorlose Reaktion nicht.
    Bei all dem Trubel haben wir die Haustür nicht gehört, nur Cora springt plötzlich hoch und wird sichtlich verlegen. Ihre Eltern, die wir alle noch in China wähnen, treten ein.
    Jeder will erklären. Aber Ulrich verschafft sich durch eine autoritäre Geste als erster Gehör. Unglücklicherweise sei Evelyn unterwegs an der asiatischen Grippe erkrankt, habe beinahe eine Lungenentzündung. Man habe die Reise abgebrochen und das nächste Flugzeug nach Frankfurt genommen. Bevor seine Tochter irgendeinen Kommentar zu diesem unpassenden Gelage abgebe, solle sie ihrer Mutter ins Bett helfen und ihre Toilettentasche auspacken. Cora gehorcht, Emilia läuft in die Küche, um Wasser für Tee und Wärmflasche aufzusetzen.
    Die gute Stimmung ist perdu. Ullrich zieht den Mantel aus und wirft ihn Felix zu, als wäre er ein Hausdiener.
    »Mutter, was machst du hier?« fragt er streng, im übrigen steht auch ihm die Erschöpfung einer langen Flugreise im Gesicht geschrieben. Es ist nicht der Moment, wo mein Sohn Lust auf ein Familientreffen hat.
    »Cora hat uns hergeholt, das war besonders lieb von ihr«, sage ich, »sehr oft war ich in den letzten Jahren ja nicht bei euch eingeladen.« Angriff ist die beste Verteidigung.
    Ulrich ist schnell zum Einlenken bereit, mir gegenüber hat er immer ein schlechtes Gewissen. »Ja, ja, natürlich, gut gemeint...«, murmelt er, setzt sich hin und greift nach dem samtigen Chianti, der aus seinem eigenen Keller stammt.
    Nach dem ersten Schluck beginnt er, uns alle eingehend zu fixieren: Hugo und mich, Emilia und Mario, Felix. In flüssigem Italienisch wendet er sich nun an den Hofstaat seiner Tochter. Aber Emilia rennt in die Küche, um den Tee aufzugießen, und Mario fängt so sehr zu stottern an, daß selbst der sprachbewanderte Ulrich nichts damit anfangen kann. Ulrich gibt auf. »Ist noch etwas zu essen übrig?« fragt er.
    Emilia steht mit der Teekanne in der Tür und nickt eifrig.
    Es ist der unschuldige Felix, der zum Verräter wird. »Wir haben gerade den Bernhardiner begraben!« sagt er erklärend.
    Ulrich begreift nicht. »Wen?«
    »Den Hund von Emilia«, sagt Felix, »ihren Bernhardiner Pippo!«
    Mein Sohn war stets ein Besserwisser. »Pippo war kein Bernhardiner«, korrigiert er, »dieses Tier war erstaunlich klein, nicht wahr. Nun, ich bedaure, daß es tot ist; vivissime condoglianze, Emilia!«
    Hugo hat sich verschluckt, sein Husten will sich nicht beruhigen. Mario klopft ihm auf den Rücken, ich hole ein Glas Wasser. Ulrich entzieht sich der unangenehmen Szene, indem er murmelt: »Ich muß jetzt nach meiner Frau schauen.«
    Die Gesichtsfarbe meines Schwagers nimmt eine bedrohliche Färbung an. Wäre doch Regine hier! Als Hugo endlich wieder Luft bekommt, sackt er in sich zusammen. Felix und Mario schleifen ihn aufs Sofa. Schließlich ruft die wieder aufgetauchte Cora den Hausarzt an.
    Offensichtlich haben ihre Eltern sie nicht in Stücke gerissen. Ulrich und Evelyn leben in ständiger Angst, ihre Kinder zu verprellen. Insbesondere bei der Tochter befürchten sie nicht zu Unrecht, daß sie sich nie mehr blicken ließe, wenn man ihr einmal im Leben gehörig den Marsch bläst. Aber in diesem Fall könnte man ihr höchstens vorwerfen, Mario und Emilia ungefragt als Gäste ins elterliche Haus eingeschleust zu haben. Gegen die eigene Großmutter würde selbst Evelyn nichts einwenden.
    Der Arzt weist Hugo
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