Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kalt ist der Abendhauch

Kalt ist der Abendhauch

Titel: Kalt ist der Abendhauch
Autoren: Ingrid Noll
Vom Netzwerk:
gestern ein bißchen spät geworden«, sagt sie entschuldigend, »wir schwammen im Öl.«
    Wie bitte?
    »Wir haben uns die Kante gegeben, also Oma, man könnte auch sagen, wir waren grottenvoll.«
    Armer Felix, sein Kusinchen ist nicht der beste Umgang für den Jungen.
    »Und was nun?« frage ich matt.
    »Er liegt ja nun schon lange genug in deinem Keller, auf ein paar Stunden mehr oder weniger kommt es auch nicht an. Im Augenblick habe ich keinen Bock auf körperliche Strapazen.« Sie gähnt und verabschiedet sich.
    Unter mir der tote Gemahl, neben mir der abgehalfterte Liebhaber, guter Enkel von böser Enkelin schachmatt gesetzt. Was habe ich doch für ein feines Leben.
    Ich besinne mich auf Hulda. »Was soll man machen?« frage ich. Sie wiegt sich hin und her und sagt kein Wort. Natürlich ist sie eifersüchtig auf Hugo, und im übrigen war sie mir nie etwas anderes als eine aufmerksame Zuhörerin.
    Noch im weißen Berufskasack stürzt Regine herein und zu ihres Vaters Lager. »Papa, wie geht's dir?« fragt sie, ohne sich im geringsten nach meinem Befinden zu erkundigen. Hugo lächelt milde. Einerseits will er bemitleidet und umsorgt werden, andererseits will er vermeiden, daß man ihn ins Krankenhaus bringt. Diese Gratwanderung schafft er mit Bravour.
    Regine schnüffelt, wendet sich plötzlich mir zu und fragt streng: »Wann hat Papa das letzte Mal gebadet?«
    Woher soll ich das wissen? Soll sie ihn gefälligst selbst fragen.
    »Vor zwanzig Jahren«, sagt Hugo.
    Die Erklärung ist simpel und zeigt, daß man Heidemarie keine Vorwürfe machen sollte. Damals bekam Ida einen Rollstuhl, und die Tochter ließ eine behindertengerechte Dusche einbauen. Ida konnte sich vom Roll- auf einen Badestuhl schwingen und sich im Sitzen abbrausen lassen. Auch Hugo zog es vor, diese Einrichtung zu benutzen. Auf diese Weise war er noch bis zuletzt den kräftigen Händen der eigenen Tochter entgangen.
    »Ich werde sofort ein Schaumbad richten«, sagt Regine entschlossen und begibt sich ins Badezimmer. Hugo wirft mir einen erbarmenswerten Blick zu, aber ich bleibe ungerührt.
    »Warum läuft kein warmes Wasser?« fragt Regine nach einer Weile. »Bei dieser Temperatur würde sich Papa eine Lungenentzündung holen... «
    Ach so, der Boiler. Manchmal geht die Flamme aus. Felix hat mir gezeigt, wie man ihn wieder in Gang setzt. Ich erhebe mich ungern, um in den Keller hinabzusteigen.
    »Laß nur«, sagt Regine, »das kann ich auch...«
    Wie aus einem Munde sagen Hugo und ich: »Nein!« Aber Regine ist flinker und schon an der Tür; Hugos gräßliches Stöhnen läßt sie aber erstarren.
    »Der Blutdruck«, stammle ich.
    Regine holt ihre Gerätschaften, um zu messen. »Erstaunlicherweise völlig okay«, stellt sie fest. »Papa, was ist denn mit dir?«
    »Es war mir plötzlich so komisch«, sagt Hugo, »es ist besser, wenn ich erst morgen bade.«
    Regine nickt. Aber den Boiler will sie trotzdem wieder anwerfen. Hugo und ich halten sie gemeinsam mit beiden Händen gefangen.
    »Felix kommt nachher«, lüge ich, »er kann das viel besser als wir.«
    Das war falsch; Regine war stets der Meinung, daß Frauen Autoreifen wechseln und Männer stricken sollten. Sie hat Kraft in den Armen, das tägliche Massieren und Turnen hat Folgen. Mühelos streift sie unsere dürren Händchen ab und ist mit drei stürmischen Schritten im Flur. Es ist zu spät, ihren
    quietschenden Sandalen hinterherzujagen. Hugo und ich sehen uns an und warten auf ihren Schrei.
    Aber Regine kommt gemütlich wieder aufwärtsgetrampelt.
    »Das wäre ja gelacht«, sagt sie, »dafür einen Mann zu bemühen!«
    Offensichtlich hat sie nichts anderes gesehen als eine erloschene Boilerflamme. »Ist dir etwas Besonderes
    aufgefallen?« fragt Hugo, den ich für diese dämliche Frage am liebsten auch eingemauert hätte.
    »Wenn unten Mäuse sein sollten«, sagt sie forsch und reibt sich die stets rötliche Nase, »dann kann ich eine Falle aufstellen, aber erwartet bitte nicht, daß ich hysterisch kreische.«
    »Kannst du dich eigentlich noch an Bernhard erinnern?« fragt Hugo. Er verwechselt Regine mit Veronika.
    Sie lacht. »Der Vater meiner Geschwister war bereits
    gefallen, als ich noch nicht geboren war. Aber Anton habe ich
    noch gut im Gedächtnis, ich dachte ja immer, er sei mein Papa.«
    Regine erhebt sich. Eigentlich würde sie ihren Vater gern noch heute abseifen, sagt sie, morgen habe sie kaum Zeit, und außerdem würde er sich hinterher sicherlich viel wohler fühlen. Sie setzt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher