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Kalt ist der Abendhauch

Kalt ist der Abendhauch

Titel: Kalt ist der Abendhauch
Autoren: Ingrid Noll
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ich ihm eine Überdosis verordnet.«
    Das muß ich erst einmal verdauen. Aber die Details erregen meine Neugierde. »Wo hast du den Toten gelassen?« frage ich mit kollegialem Interesse.
    Alice hatte keine Leiche im Haus, der Mann wurde in seiner eigenen Wohnung aufgefunden. Es gab aber eine polizeiliche Untersuchung, die schließlich mit einer Geldstrafe und der
    Aberkennung der kassenärztlichen Zulassung endete. »Das war der eigentliche Grund für den Verkauf meiner schönen Praxis«, schließt Alice ihren Bericht.
    »Und was rätst du mir im Fall Bernhard?«
    Alice überlegt. »Ulrichs Garten finde ich etwas problematisch. Schmeißt ihn doch nachts in den Neckar, aber hinter den Schleusen, damit er nicht schon am nächsten Tag rausgefischt wird.«
    Nun finde ich meine Schwester pietätlos. Bernhard war schließlich kein Seemann. »Alice, warum hast du mir deinen süchtigen Dichter stets verheimlicht?«
    Sie grübelt. »Du hattest immer so eine hohe Meinung von mir. Für meine Blödheit habe ich mich nachträglich in Grund und Boden geschämt. Aber du hattest ja in puncto Bernhard auch kein grenzenloses Vertrauen zu mir.«
    Ich wollte meine Schwester nicht belasten. Außerdem hatten Hugo und ich uns versprochen, keiner Menschenseele etwas zu verraten. Gerade habe ich diesen Schwur gebrochen.
    Hugo wird wach und will frühstücken. Mir ist der Appetit bei Alices Beichte nicht vergangen, denn ich finde ihre Tat nicht schlimm und außerdem verjährt. Meine Nichte Constanze ist eine ernste und etwas trockene Person, sie würde die schwarzen Flecken auf der weißen Weste ihrer sich aufopfernden Mutter wohl ebensowenig billigen, wie es Ulrich bei mir täte. Dabei ist sie Psychotherapeutin, aber leider eine humorlose.
    Während wir frühstücken, taucht Felix auf. Ich ertappe mich bei dem bösen Gedanken, daß ihn Cora neulich - grottenvoll, wie sie war - am Ende ins Bett gezerrt haben könnte. Cousin und Cousine, das wäre ja schlimmer als alles, was ich mit meinem Schwager angestellt habe. Aber vielleicht habe ich eine allzu schmutzige Phantasie und bin durch Alices Enthüllungen ganz aus dem Lot geraten. Beschämt über meine perversen Vorstellungen gieße ich meinem netten Enkel und meinem reizenden Schwager Kaffee in die Tassen.
    Wir sitzen immer noch am Frühstückstisch, als Cora kommt, allerdings in Begleitung. Eine rundliche Südländerin dackelt hinter ihr her und wird uns als Emilia vorgestellt. Sie trägt die gleichen Turnschuhe wie ich. Der Besuch zur Morgenstunde irritiert mich; will Cora den Toten bei hellichtem Tage in ihren Wagen verladen? Aber in Gegenwart meines Enkels muß ich den Mund halten. Cora holt zwei weitere Tassen und schenkt sich und Emilia den letzten Rest Kaffee, auf den ich selbst spekuliert habe, ein.
    »Sieh mal, deine Eltern haben geschrieben«, sage ich zu meiner Enkelin und angle die neueste Postkarte vom Küchenregal herunter.
    Ohne großes Interesse betrachtet sie >Das Marmorschiff im Sommerpalast< und macht sich noch nicht einmal die Mühe, die dichtbeschriebene Rückseite zu entziffern.
    Es ist mir nicht entgangen, daß Felix in Coras Gegenwart erneut rot anläuft. »Was verschafft uns die Ehre eures hohen Besuchs?« fragt er mit angestrengtem Spott.
    Ich werfe Cora einen scharfen Blick zu. Aber offensichtlich hat die Italienerin, die im übrigen die Fünfzig überschritten haben mag, alles verstanden. Sie antwortet in ihrer Sprache, Felix und ich verstehen nur »Francoforte«.
    Cora nickt. Emilia wolle die Banken- und Börsenstadt unbedingt kennenlernen, sie selbst freue sich auf eine Ausstellung in der Schirn, Gustav Klimt und Egon Schiele.
    Hugo empfiehlt dringend und ganz Weltmann, die Buchmesse zu besuchen, obwohl sie erst im Oktober stattfindet.
    Und was wird mit Bernhard? Ich überlege, wie ich Cora mit einer chiffrierten Frage auf den baldigen Termin verpflichten kann. Aber sie ist schneller. »Auf der Rückfahrt kommen wir wieder vorbei, bringen Ordnung ins Haus und holen alle ab«, verspricht sie.
    Felix wird neugierig. »Willst du etwa putzen? Und wer sind alle?«
    »Unsere Oma...«, Cora stockt, »und dein Opa«, schlürft den Kaffee aus und nickt in Emilias Richtung. Beide winken uns noch huldvoll zu und verlassen den Frühstückstisch. Unvermittelt saust Felix hinter ihnen her. Lange wird draußen auf der Straße palavert, ich beobachte es durchs Küchenfenster. Aber auch Cora hat mich erspäht, lächelt gütig, steigt ein und braust davon. Felix kommt wieder
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