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Kabeljau und Kaviar

Kabeljau und Kaviar

Titel: Kabeljau und Kaviar
Autoren: Charlotte MacLeod
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die
ihnen die Suppe auftischte, war in jeder Hinsicht eine passable Mrs. Cratchit,
leider jedoch hatte sie sich dazu verleiten lassen, ihr Mieder mit einer
überflüssigen Scheußlichkeit in Form eines Weihnachtssträußchens zum Anstecken
zu verunzieren. Bruder Dork faßte die allgemeine Entrüstung in Worte.
    »Allerwertester Fischkopf, ich
beantrage, daß Mrs. Cratchit angehalten wird, dieses geschmacklose Objekt
ebenfalls in die Letzte Ruhestätte zu befördern, da es eine Beleidigung der
mürrischen Verstimmung unseres Scrooge-Festes und der allgemeinen
Verdrießlichkeit darstellt, auf die wir mit Recht so stolz sind.«
    »Ich schließe mich diesem Antrag an«,
raunzte der Geist der vergangenen Weihnacht.
    »Irgendwelche Gegenstimmen oder
Stimmenthaltungen?« erkundigte sich Jeremy Kelling.
    Bruder Durward hob die Hand. »Ich
verstehe nicht, warum ihr davon soviel Aufhebens macht.«
    »Kannst du Mrs. Cratchit überhaupt
sehen?«
    »Eh, um ehrlich zu sein, nein.« Er nahm
seine Brille ab, putzte die extrem dicken Gläser mit seiner Serviette, setzte
sie wieder auf und fixierte das Gesicht seines Nachbarn. »Oh, hallo, Wouter. Ich
hatte dich für Tom gehalten.«
    »Der bin ich auch«, entgegnete Marleys
Geist. »Wouter sitzt da drüben.«
    »Oh.« Bruder Durward nahm seine Brille
wieder ab und sank zurück auf seinen Stuhl. Jeremy Kelling entzog ihm das Wort
und nahm es persönlich auf sich, das beanstandete Objekt zu entfernen, wobei er
vorgab, Obed Oghams obszöne Bemerkungen nicht zu hören.
    Durch die Zusage besänftigt, ihren
Weihnachtsschmuck später wieder zurückzuerhalten, trug Mrs. Cratchit die Suppe
auf, die wirklich hervorragend schmeckte und über die sich die Brüder genüßlich
hermachten. Selbst der Allerwerteste Fischkopf vergaß vorübergehend die
Pflichten seines Amtes und konzentrierte sich darauf, sich so reichlich wie
möglich zu bedienen und dabei seine scroogehaften Manieren zu bewahren. Erst
nachdem er seinen Löffel beiseite gelegt und die schwarzgeränderte Serviette
unter seiner untersten Kinnfalte hervorgezogen hatte, bemerkte Jeremy Kelling
eine erschreckende Leere auf seiner Weste. Die Große Kette war verschwunden.
    »Der Kabeljau«, stieß er hervor. »Er
ist weg!«
    »Der ist bestimmt in die Letzte
Ruhestätte gefallen, alter Schwachkopf«, knurrte Bruder Twitchett, der bisher
außer einem gelegentlichen ‘Humbug!‹ noch kein Wort von sich gegeben hatte.
    »Aber ich habe nichts klirren hören.«
    »Natürlich nicht. Du bist ja auch taub
wie ein Schellfisch und voll wie ein Troll.«
    Dieser geistreiche Schlagabtausch war
typisch für die Brüder des Geselligen Kabeljaus. Sie variierten das Thema und
fügten weitere Nettigkeiten hinzu, während Jem dem Geist von Marley lautstark
befahl, umgehend die verdammte Ruhestätte zu bringen. Als dies geschehen war,
zog er höchstpersönlich das Weihnachtssträußchen, den luftlosen Rudolf und das
Federröckchen heraus und schüttelte alles aus, jedoch ohne Erfolg. Schließlich
steckte er seinen Kopf in den Behälter, begleitet von den derben Bemerkungen
seiner Clubbrüder.
    »Hier ist der Kabeljau nicht«, stöhnte
er.
    »Dann eben unter dem Tisch, wo du immer
landest, du Trunkenbold«, erwiderte der Geist der diesjährigen Weihnacht.
    Da war er ebenfalls nicht. Er war
nirgends aufzufinden. Die schweren Silberglieder der Kette und der prächtige
Anhänger, die noch vor so kurzer Zeit majestätisch auf Jeremy Kellings prallem,
rundem Bauch geruht hatten, waren verschwunden wie die Fischsuppe der
vergangenen Weihnacht.
    »Du hast ihn abgenommen und vergessen,
ihn wieder umzuhängen«, sagte Bob Cratchit und vergaß dabei sogar zu katzbuckeln.
»Hirnerweichung nennt man das. Mach dir nichts draus. Soll ich jetzt den Port
servieren?«
    Alle mit Ausnahme des Allerwertesten
Fischkopfes begrüßten diesen Vorschlag. Während die Karaffe die Runde machte
und die Brüder entgegen ihren übellaunigsten Vorsätzen immer fröhlicher wurden,
brütete Jeremy Kelling über der Frage, wo zum Teufel das verfluchte Ding wohl geblieben
sein konnte. Heruntergefallen war die Kette bestimmt nicht. Die schweren,
ineinander verschlungenen Glieder waren von einem alten Kunsthandwerker, einem
Meister seines Faches, für alle Zeiten miteinander verbunden worden. Einen
Verschluß gab es nicht. Sie ließ sich nur abnehmen, indem man sie über den Kopf
zog.
    Und das war nicht geschehen. Einen
erfahrenen Säufer wie J. Lemuel Alexander Kelling Kelling konnten
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