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Kabeljau und Kaviar

Kabeljau und Kaviar

Titel: Kabeljau und Kaviar
Autoren: Charlotte MacLeod
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kümmern,
und die ganze Angelegenheit war schon beinahe vergessen, als Egbert am gleichen
Abend auf ihrer nagelneuen Türmatte stand.
    Sarah bat ihn herein. »Egbert, was für
eine nette Überraschung. Was ist denn jetzt schon wieder passiert?«
    »Mr. Jem ist etwas passiert, Mrs.
Sarah. Er ist die Flurtreppe runtergefallen.«
    Sarah starrte ihn an. »Sie meinen doch
nicht etwa die Treppe, die zur Eingangstür führt? Egbert, das darf doch nicht
wahr sein! Onkel Jem benutzt diese Treppe doch überhaupt nie.«
    »Der Aufzug steckte im obersten Stock
fest, Mrs. Sarah.«
    Eine plausible Erklärung. Jeremy und
Egbert lebten in einem Apartmenthaus, einem umgebauten alten Stadthaus. Es gab
dort einen Aufzug aus dem Jahre 1905 oder so, etwa von der Größe einer
Telefonzelle. Er funktionierte nur, wenn sowohl Innen- als auch Außentür von
der Person, die ihn zuletzt benutzt hatte, sorgfältig geschlossen wurden.
    Falls dies nicht der Fall war, benutzte
man entweder die Treppe oder regte sich schrecklich auf. Jem schickte für
gewöhnlich Egbert los, um den Aufzug zu holen, oder brüllte den Schacht hoch,
bis die anderen Mieter es nicht mehr länger aushielten und jemand hinging, um
die Türen zu schließen. In Momenten höchster Verzweiflung allerdings, wenn
Egbert beispielsweise nicht da war, niemand auf sein Gebrüll reagierte und er
keinen Gin mehr im Haus hatte, war es sogar schon vorgekommen, daß Jem
höchstpersönlich wutschnaubend die Treppe hinunterstapfte, die von seiner
Wohnung im ersten Stock nach unten führte. Offenbar hatte es sich auch diesmal
um eine derartig ausweglose Situation gehandelt. Jetzt lag Mr. Jem im Phillips House -Krankenhaus, mit einer
nagelneuen Stahlkugel an der Stelle, an der sich bisher sein linkes Hüftgelenk
befunden hatte. Egbert hatte angenommen, daß Mrs. Sarah und Mr. Max Bescheid
wissen wollten.
    »Aber natürlich«, bestätigte Sarah.
»Egbert, das ist ja schrecklich. Am schlimmsten natürlich für Onkel Jem, aber
denken Sie bloß an die armen Krankenschwestern, die ihn jetzt ertragen müssen.
Haben Sie eine Ahnung, wie das passiert ist? Konnten Sie schon mit Jem
sprechen?«
    »Ich konnte ihm z u h ö r e n, Mrs.
Sarah. Es fing folgendermaßen an: Er schickte mich weg, um einige
Weihnachtseinkäufe für ihn zu erledigen, und Sie wissen ja, was um diese Zeit
in den Kaufhäusern los ist; also war ich fast den ganzen Nachmittag unterwegs.
Ich kam erst gegen fünf Uhr wieder nach Hause, völlig erschöpft natürlich. Und
was mußte ich sehen, als ich die Eingangstür aufschloß? Mr. Jem, der im Flur
auf dem Boden lag und wie am Spieß brüllte. Sobald ich festgestellt hatte, daß
er nicht mehr aufstehen konnte, lief ich zum Telefon, rief einen Krankenwagen
und holte einen Schluck Brandy für Mr. Jem. Das linderte den Schmerz ein wenig
und beruhigte ihn soweit, daß er mir berichten konnte, was vorgefallen war. Er
sagte, jemand von Fuzzleys’ hätte
gegen Viertel vor fünf angerufen und ihm mitgeteilt, daß sein Backenbart da
sei, aber er müsse sich beeilen, da sie in fünfzehn Minuten schließen würden.
Daraufhin ist er die Treppe heruntergestürmt wie ein verdammter alter
Wasserbüffel. Ich bitte um Entschuldigung, Mrs. Sarah, aber — «
    »Sie brauchen sich nicht zu
entschuldigen, Egbert. Es ist doch ganz natürlich, daß Sie aufgeregt sind.
Warum setzen Sie sich nicht und ruhen sich ein wenig aus? Max, Egbert ist hier.
Bist du so lieb und machst ihm einen Drink? Onkel Jem hatte einen Unfall.«
    »Ach du liebe Zeit! Was hat er denn
jetzt schon wieder angestellt?« Max ließ die Zeitung sinken, mit der er es sich
eben erst in einem ihrer nagelneuen Sessel bequem gemacht hatte, und holte den
Whiskey. Während Egbert das Stärkungsmittel in kleinen Schlucken zu sich nahm,
schüttelte Max in hilflosem Staunen den Kopf.
    »Warum war er denn so wild auf diesen
Backenbart?«
    »Mich dürfen Sie nicht fragen, Mr. Max.
Es gab überhaupt keinen vernünftigen Grund, wie von der Tarantel gestochen
loszustürmen. Ich hätte den Bart doch genausogut morgen früh für ihn abholen
können, aber Sie kennen ja Mr. Jem. Er wollte diesen Bart sofort haben.«
    »Für die Eisenbahnparty bei den
Tolbathys, nehme ich an«, sagte Sarah. »Er hat mir erzählt, daß er Onkel
Nathans Gehrock anziehen, sich einen Dundreary-Bart ankleben und als Jay Gould
gehen wollte.«
    »Bist du sicher, daß Jay Gould einen
Dundreary-Bart hatte?«
    »Keine Ahnung. So hat sich Onkel Jem
jedenfalls die Rolle vorgestellt. Er
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