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Jungs sind keine Hamster

Jungs sind keine Hamster

Titel: Jungs sind keine Hamster
Autoren: Frank Schmeißer
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ziehen. Direkt unter dem Dach. Wo es im Sommer knallheiß und im Winter prima zugig war, um wirklich das ganze Jahr über unglücklich zu sein.
    „Kompromisse gehören in einer Familie dazu!“, redete Mutter ihren Verrat schön. Dabei war ich mir sicher, dass sie sich nur Jettes Freundschaft erschleichen wollte. Die hatte nämlich genauso wenig Lust dazu, mit uns zusammenzuziehen, wie ich mit ihnen.
    Mein Zimmer abzugeben fand ich schlimm, aber noch mehr schockierte mich, dass meine Mutter dieses furchtbare Gebilde aus uns und irgendwelchen Leuten „Familie“ nannte. Das bedeutete nämlich nichts anderes, als dass wir nun wirklich und auch ganz offiziell, wie man so schön sagt, eine Patchworkfamilie waren. Patchworkfamilie. Blödes Wort. Ich fand, Hottentotten, Gefängnisinsassen oder Irrenhaus beschrieb uns besser. Aber die Behauptung, wir wären jetzt eine ganz moderne, coole Patchworkfamilie, brachte meine Mutter ganz aus dem Häuschen. Die fand alles irgendwie toll, was englisch klang.
    „Mach auf, du blöde Kuh!“, schrie Jakob. Bom! Bom! Bom!
    „Don’t say blöde Kuh!“, maßregelte Mutter meinen kleinen Bruder.
    „Sag ich wohl!“, schrie der zurück. „Wegen der gibt es kein Abendbrot. Und ich will Abendbrot, weil du mir Würstchen und Pommes versprochen hast!“
    „You will get your Würstchen soon!“ Mutter klang genervt. Dass Mutter mit meinem Bruder ein fürchterliches Englisch sprach, begründete sie übrigens mit Frühförderung. Sie wollte ihn zweisprachig großziehen. Zwar konnte der kleine Blödmann Förderung gebrauchen, aber den Versuch, ihm als Nicht-Muttersprachlerin Englisch beizubiegen, hielt ich für peinlichen Unsinn. Peinlich für uns alle! Schließlich stammelte sie ihn auch in der Öffentlichkeit lautstark auf Englisch an. So wie letztens in der total überfüllten Fußgängerzone: „No, Jakob. First we must go to the Shoppingcenter because Hannah needs a new … äh … Unterhose!“ Jedes Mal würde ich dann am liebsten sofort vor Scham und auf Nimmerwiedersehen im Boden versinken.
    „Und wann kriege ich meine Würstchen?“ Mein Bruder begann die Verhandlungen.
    „Soon.“
    „Ich will die nicht bald. Ich will die jetzt!“
    Ich will. Ich will. Ich will. Mein Bruder war die fleischgewordene Trotzphase. In der Regel durchleben Kinder ja verschiedene davon. Die normalerweise kommen und dann wieder gehen. Zum Luftschnappen für die Eltern, bevor die nächste Wutwelle anrauscht. Anders bei meinem Bruder. Der kam schon bockig auf die Welt und blieb so. Ein echter Stinkstiefel. Eine Dauertrotzphase mit Rotznase sozusagen. Frisch aus der Hölle geliefert.
    Die Tür schepperte gegen meinen Sessel. Der begann zu schwanken. Sofort drückte ich meinen Rücken fest gegen die Lehne.
    „Mach …“ Bom! „… endlich die …“ Bom! „… verdammte Tür auf!“ Bom! „Ich will …“ Bom! „… in mein Zimmer!“
    „Hör auf, Jette. Du machst noch die Tür kaputt!“, hörte ich Hannes.
    Papa ist vor knapp einem Jahr ausgezogen. Die Trennung meiner Eltern werfe ich Hannes nicht vor. Die waren im Grunde schon seit Ewigkeiten getrennt gewesen, ohne es zu merken.
    Und außerdem war Hannes eigentlich ganz okay, fand ich. Etwas schweigsam vielleicht und etwas zu nachgiebig, was seine Tochter anging. Er war Wachs in Jettes Händen.
    „Daddy, die Nervensäge blockiert nun mal die Tür. Was soll ich denn sonst tun, um in mein Zimmer zu kommen?“
    „Ja, Schätzchen, das verstehe ich natürlich. Aber das geht bestimmt auch anders.“
    „Ja, Schätzchen, das verstehe ich natürlich“, äffte ich ihn leise nach und stellte mir Jette vor, wie sie mit Augenklimpern und Hundeblick ihren Vater um den Finger wickelte, als wäre er eine Haarsträhne, ein Pflaster oder eine weich gekochte Nudel.
    „Lasst sie doch einfach in Ruhe. Schließlich ist das ihr Zimmer“, sagte David ruhig. David war der große Bruder von Jette und mindestens die coolste Sau des Universums. Der trug Schlabberklamotten, spielte in einer Rockband, sah teuflisch gut aus und war, seitdem wir uns kannten, nett zu mir. David hatte bereits Mutters ehemaliges Büro bezogen. Es war zwar eher klein, aber das machte David nichts aus. Er hatte eh nur ein Bett, eine Lampe, eine große Truhe, einen Sack voll Wäsche und seine Gitarre inklusive Verstärker reingewuchtet und war fertig. Sein Zimmer lag direkt neben meinem.
    „Das ist nicht ihr Zimmer, sondern meins!“, protestierte Jette und Mutter sagte nur: „Lassen wir
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