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Jungs sind keine Hamster

Jungs sind keine Hamster

Titel: Jungs sind keine Hamster
Autoren: Frank Schmeißer
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sehr, er schrie den Fernseher an.
    Immer wenn ich dieses riesige Haus betrat, das schon seit Ewigkeiten eine Renovierung gebrauchen konnte, gruselte es mich. Das Licht war grell und kalt. Der Putz bröckelte von der Decke und die Wände waren mit hässlichen Graffiti versaut. Ich mag Graffiti, aber nur gut gemachte. Es roch irgendwie komisch – nach alten Tennissocken, Keller und Kohl. Vielleicht kochte jemand einen Tennissocken-Kohleintopf im Keller? Ich meine, in diesem Haus lebten locker mehrere Hundert Familien. Dieses Haus war eine Stadt mit über tausend Einwohnern. Und alle hatten sicherlich einen anderen Geschmack.
    Ich lief zu den Fahrstühlen. Es gab drei Stück und Gott sei Dank war einer von ihnen da und leer. Ich huschte hinein und drückte auf den Knopf mit der Nummer 20. Als die beiden Türhälften zusammenknallten und der Fahrstuhl sich ruckelnd in Bewegung setzte, atmete ich erleichtert aus. Ich hasste es, mit irgendwelchen komischen Typen allein im Fahrstuhl rumzustehen. Da wusste ich immer gar nicht, wo ich hinschauen sollte und ob die nicht vielleicht total verrückte Mörder waren. Im Fuck-you-Haus jedenfalls lebten definitiv ein paar ganz schräge Typen mit heftigen Problemen.
    Quietschend zuckelte der Fahrstuhl im Schneckentempo aufwärts. Vor jeder Etage hielt ich den Atem an und pustete erleichtert aus, wenn der Fahrstuhl weiterfuhr und nicht anhielt, um meinen Mörder reinzulassen.
    Ich wusste schon, dass das total übertrieben war. Normalerweise bin ich kein Feigling. Wirklich nicht. Aber dieser Fahrstuhl sah aus wie aus einem Horrorfilm. Und zwar aus so einem, in dem man die blöden Schauspieler die ganze Zeit anbrüllen will: „Geht nicht in den Fahrstuhl, ihr Idioten! Ihr werdet alle draufgehen!“ Fahrstuhl des Grauens. Wäre ein Eins-a-Titel.
    Ping! Angekommen. Puh. Scheppernd öffnete sich die Tür und ich huschte aus dem Blechgefängnis. Das Licht im Gang war aus. Nur ein Notausgangschild tauchte den hinteren Bereich des Flurs in ein schwach grünes Licht. Ich ging um die Ecke und sah Lore in der geöffneten Wohnungstür stehen. Emil und Dirk quetschten sich neben sie und grinsten.
    Kaum dass ich in der Wohnung stand, hatte ich die Jungs an meinen Armen hängen. Beide trugen bereits ihre Schlafanzüge. Emil einen mit Bärchen drauf und Dirk einen mit Superhelden. Den Schlafanzügen sah man an, dass Emil und Dirk nicht ihre ersten Besitzer waren. Sie waren an den Knien ausgebeult und an den Ärmeln abgewetzt.
    „Liest du uns was vor?“, fragte Emil und schaute mich mit großen Augen an.
    „Nix da“, sagte Lore streng. „Die Hannah brauch ich heute ganz allein für mich!“ Dann schob sie die beiden in ihr Zimmer. „Ihr müsst jetzt schlafen. Mama liest euch gleich noch was vor.“
    „Guten Abend, Hannah.“ Lores Mutter lehnte in der Küchentür und leckte sich Butter von den Fingern.
    „Willst du was essen?“, fragte sie mich. „Es steht noch alles auf dem Tisch.“
    „Nein, danke“, antwortete ich, obwohl ich schon ein bisschen Hunger hatte. Mein Abendessen war ja leider ausgefallen. Aber ich war einfach zu gespannt, was Lore mir zu erzählen hatte. Und ich bezweifelte, dass sie mir den Notfall auch am Küchentisch erzählen würde, wenn ihre Mutter bei uns saß. Außerdem hatte ich noch ein paar Schokoriegel im Rucksack. Das würde reichen.
    Lore packte mich am Arm und zog mich durch den langen Flur. Schuhe, Taschen und Spielzeug ließen nur eine kleine Schneise zum Gehen. Man musste aufpassen, nicht zu stürzen oder etwas zu zertrampeln. Wir kamen auch am Zimmer von Alfons und Bert vorbei, aus dem lautstark Musik wummerte. Lore klopfte gegen die Tür und rief: „Leiser machen! Nebenan wird geschlafen!“ Sofort verstummte die Musik. Im Wohnzimmer lag Lores Vater auf der Couch und schnarchte.
    In ihrem Zimmer angekommen, schloss Lore hinter uns ab. Sie hatte als einziges Kind der Leys ein eigenes Zimmer. Weil sie ein Mädchen war. So gesehen war es toll, dass sie nicht auch noch eine Schwester hatte. Obwohl – irgendwie hatte sie ja doch eine Schwester. Mich. Denn seitdem ich denken konnte, hingen wir beide zusammen rum. Wir waren im selben Kindergarten gewesen, in dieselbe Grundschule gegangen und auch jetzt drückten wir noch Seite an Seite die Schulbank.
    Da war es völlig logisch, dass wir uns nicht nur als beste Freundinnen, sondern als Schwestern bezeichneten. Lore knipste das Licht an. Ihr Zimmer war wie immer blitzblank sauber und aufgeräumt. Lore war der
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