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Jungs sind keine Hamster

Jungs sind keine Hamster

Titel: Jungs sind keine Hamster
Autoren: Frank Schmeißer
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ihr einfach noch etwas Zeit und gehen runter essen. Come on, Jakob. Let’s go downstairs eating Würstchen and Pommes.“
    Und mir wurde mal wieder klar, dass die zukünftigen Englischlehrer meines Bruders Jahre brauchen würden, um dieses Kauderwelsch aus seiner Birne zu hämmern. Viel Spaß dabei. Schritte entfernten sich und meine Belagerer polterten die alten, knarrenden Stufen runter.
    Ich ließ meinen Blick über das Chaos in meinem Zimmer wandern. Es sah aus, als wäre auch ich gerade erst hier eingezogen und hätte noch keine Zeit dazu gefunden, meinen Krempel in den Schrank oder die Regale zu räumen. Die waren nämlich leer. Was man vom Fußboden oder von meinem Bett nicht behaupten konnte. Aber wozu sollte ich jetzt noch aufräumen? Irgendwann würde ich die Barrikade vor der Tür ja doch abbauen müssen.
    Mein Zimmer lag im ersten Stock. Die nächsten Jahre Tag für Tag aus dem Fenster raus- und reinzuklettern, war kaum zu machen. Vor allem nicht vor dem Urlaub mit dicken Koffern und so. Da käme ich nie heil runter und vor allem nicht wieder hoch. Und bescheuert sähe das mit Sicherheit auch aus. So mit Koffern im Baum. Aber zumindest wollte ich Barbie noch so lange nerven, wie es nur eben ging. Und zwar aus Prinzip. Nicht weil ich sie nicht leiden konnte.
    Entfernt hörte ich dumpfes Geschnatter. Vorsichtig stand ich auf. Mein Zimmer lag direkt über der Küche und der alte Holzfußboden knarzte, wenn man auf die falschen Dielen trat. Ich wollte aber kein Lebenszeichen von mir geben. Sonst hätte ich die Bagage gleich wieder am Hals gehabt. Ich schlich zu meinem Schreibtisch, der gleich vor dem Fenster stand, damit ich den Himmel und den Garten sehen und mich beim Hausaufgabenmachen leichter ablenken und träumen konnte. Ich nahm meinen Schreibtischstuhl und trug ihn zur Tür. Dann schob ich so leise wie möglich meinen dicken Sessel ein wenig zur Seite und verkeilte die Tür zusätzlich mit dem Stuhl, indem ich die Lehne unter die Klinke klemmte. Mein Zimmer war damit verriegelt. Dann sah ich auf meine Armbanduhr. Kurz nach halb sieben. Die Sonne war längst untergegangen. Regentropfen liefen wie dicke Tränen die Fensterscheiben hinunter. Der alte Pflaumenbaum im Garten bog sich ächzend im Wind. Das Wetter draußen passte zum Trauerspiel drinnen.
    Ich wartete noch locker eine Stunde. Zwischendurch bollerte immer mal wieder jemand gegen die Tür. Mal heftiger (Jette), mal vorsichtiger (Mutter). Aber ich blieb stumm. Rührte mich nicht. Ich hatte mich auf mein großes Bett zurückgezogen und hörte Musik über Kopfhörer.
    In gut einer halben Stunde musste ich bei Lore sein, meiner besten Freundin. „Notfall!“, hatte sie heute Nachmittag in ihr Handy gebrüllt. „Um acht bei mir!“ Dann hatte sie aufgelegt. Was war schon wieder passiert? Bestimmt irgendwas mit Thomas. Thomas ist Lores Freund. Und die beiden führten die chaotischste Beziehung aller Zeiten. Die funktionierte wie ein Lichtschalter. Licht an. Licht aus. Beziehung an. Beziehung aus. Ein Chaos. Bevor man sie live vor sich sah, wusste man nie, ob die beiden gerade glücklich verliebt aneinanderklebten oder ob sie sich hassten wie Fußballer Ballett oder Topflappen häkeln. Zwar wollte Mutter nicht, dass ich so spät noch aus dem Haus ging, ohne ihr Bescheid zu sagen, aber das war mir egal. Daher zog ich mir leise meine ausgelatschten Chucks an und schlüpfte in meinen Parka. Ich schnappte mir einen Rucksack, warf mein Handy rein, öffnete das Fenster und setzte mich aufs Fensterbrett. Sofort kam mir etwas entgegengeflogen. Vor Schreck wäre ich um ein Haar rückwärts ins Zimmer gekippt. Ich ruderte mit den Armen, bis ich das Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Sanft landete meine Katze neben mir auf dem Fensterbrett.
    „Mensch, Rhea! Hast du mich erschreckt.“ Sie sah mich an und schnurrte.
    Rhea hatten wir aus einem Italienurlaub mitgebracht. Sie ist dreifarbig, was bedeutet, dass sie eine Glückskatze ist. Und Glück konnte ich nun wirklich brauchen. Rhea hüpfte vom Fensterbrett ins Zimmer und machte es sich auf dem Bett gemütlich.
    Aus dem Küchenfenster unter mir drangen Stimmen. Ich konnte eindeutig Jakob maulen hören, der laut einen Nachtischnachschlag einforderte. Das Licht aus der Küche ließ die nassen Äste des Pflaumenbaums funkeln. Vorsichtig schubste ich den Rucksack vom Fensterbrett. Er plumpste auf den nassen Rasen.
    Meine Beine baumelten über dem Abgrund. Obwohl ich schon oft so aus meinem Zimmer geflohen war,
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