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Juli, Die Viererkette

Juli, Die Viererkette

Titel: Juli, Die Viererkette
Autoren: Joachim Masannek
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reichte nämlich vorne und hinten nicht aus, um einen Anzug zu kaufen. Für einen Moment waren wir richtig enttäuscht. Doch dann hatte ich eine Idee. Wir würden bis morgen noch mehr Geld einsammeln. Jeder sollte seine Eltern, Onkel, Omas, Opas und Tanten anhauen und sie zu einer Spende für das Geschenk überreden.
    „Was haltet ihr davon?“, fragte ich stolz.
    Die anderen schauten mich überrascht an, besonders Marlon, Vanessa und der immer noch absolut skeptische Leon.
    Dann grinste das Mädchen.
    „Alles ist gut!“, sagte sie.
    „Ja, solange du wild bist!“, gab ich lachend zurück, und Marlon hob die Hand zum High Five. Ich schlug ein. Dann bildeten wir unseren Kreis. Jeder legte seine Arme um die Schultern des anderen herum. Leon schaute mir in die Augen, zählte bis drei, und dann schrien wir unser markerschütterndes „RAAAH!“.
    Ein „RAAAH!“, das so laut war, dass man es durch den Finsterwald und über die Steppe bis hin zu den Graffiti-Burgen hören konnte. Ja, das konnte man, und das gab mir Mut. Denn dorthin musste ich, wie ihr wisst, ja noch heute Abend zurück.

Zurück in der Hölle
    Zu Hause im Fasanengarten war ich ganz still und tat so, als wär ich absolut müde. Beides Verhaltensweisen, die äußerst auffällig sind. Sie stanken zum Himmel, wenn ich ehrlich sein darf, und als ich dann noch freiwillig auf die halbe Stunde Fernsehen vor dem Schlafengehen verzichtete, hielt Joschka es nicht mehr aus.
    „Mama, Juli ist durchgeknallt!“, sagte er jetzt schon zum zweiten Mal, stand kopfschüttelnd vom Küchentisch auf und schaltete den Fernseher ein.
    Normalerweise hätte er sich für so einen Spruch eine Kopfnuss eingehandelt, doch dieses Mal gähnte ich nur, reckte und streckte mich, schielte ein letztes Mal Richtung „Dinos“, meiner Lieblingssendung, von der ich noch nie eine Folge verpasst hatte, und mühte mich zu einem kaum noch verständlichen „Guuhuute Nachchchcht!“.
    Dann stand ich auf, als wär ich mindestens hundert Jahre alt, schlurfte ins Bad und danach in mein Zimmer.
    Dort legte ich mich angezogen ins Bett, und zum Glück sah ich noch den Schlafanzug auf dem Stuhl. Im letzten Moment zog ich ihn zu mir ins Bett. Da stand meine Mutter auch schon in der Tür.
    „Puh!“, dachte ich und zog meine Decke bis übers Kinn.
    Meine Mutter sah mich argwöhnisch an, doch dann besiegte ihre Sorge um mich dieses unangenehme Gefühl.
    „Kann ich mich darauf verlassen, dass du zu mir kommst, wenn du Hilfe brauchst?“, fragte sie mich, und ich schluckte einen Kloß hinunter, der so groß wie ein Kürbis war.
    „Ja. Das kannst du!“, antwortete ich und war fest davon überzeugt, dass ich sie nicht angelogen hatte. Mein Plan war gut, und noch heute Nacht würde ich wieder alles in Ordnung bringen.
    „Gute Nacht!“, sagte meine Mutter, weil sie mir glaubte, und „Schlaf gut!“ wünschte ich ihr zurück.
    Dann wartete ich noch, bis sie Joschka ins Bett gebracht hatte und sich an den Flügel setzte. Normalerweise liebte ich es, wenn ich bei ihrer Musik einschlafen konnte. Niemand spielte besser als sie. Doch an diesem Abend stand ich auf, nahm meine Porzellanschwein-Spardose vom Regal und stieg durch das Fenster hinaus in die Nacht.
    Draußen auf der Straße wickelte ich das Schwein in meine Jacke, nahm einen Stein und schlug es kaputt. Das war fast lautlos, und weder Joschka noch meine Mutter konnten es hören. Danach klaubte ich die 32 Euro und 65 Cent aus den Porzellansplittern heraus, stopfte sie in meine Taschen, schüttete die Scherben in einen der Vorgartenbüsche hinein und wollte gerade losrennen, als ich mitten in der Bewegung erstarrte.

    Im Haus schräg gegenüber stand Fabi im Fenster seines Zimmers und schaute direkt zu mir her. Ich sprang hinter die Vorgartenmauer und betete, dass er mich nicht sah. Doch dann schoss es mir durch den Kopf: Fenster werden blind, wenn man nachts das Licht anschaltet! Erleichtert rannte ich los. Ich rannte und rannte und merkte deshalb nicht, wie mir Fabis Blick folgte. Sein Fenster stand auf, und er konnte mich deshalb ganz deutlich sehen. Aber das wusste ich nicht. Ich rannte und rannte und hielt erst wieder an, als ich auf die andere Seite des Finsterwalds kam.
    Vor mir lag die nächtliche Steppe. Ich hatte sie schon so oft vor mir liegen sehen. Immer wenn ich kurz vor Morgengrauen zum alten Torbogen kam, um die Münze zu werfen. Wenn ich meine Arme ausstreckte, weil ich spüren wollte, auf welche Seite es mich zog. Doch niemals
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