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Juli, Die Viererkette

Juli, Die Viererkette

Titel: Juli, Die Viererkette
Autoren: Joachim Masannek
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Dämmerung, und für einen großartigen Augenblick gehörte die Welt ganz allein uns. Für den Augenblick, in dem wir in unseren fantastischen Trikots durch das Tor in unser Stadion liefen. Die Flutlichtanlage brannte. Sie tauchte alles in ein magisches Licht, und für diesen Augenblick waren wir und die ganze Welt gefährlich und wild. So wild wie Willi, der uns in seinem neuen Nadelstreifenanzug empfing. Stolz schritt er mit seinen Schlangenlederstiefeln durch das Tor auf uns zu und richtete sich den großen Kragen seines rot-weiß gepunkteten Hemds.
    Kreuzkümmel und Hühnerkacke! War das majestätisch. Doch leider geht selbst jeder majestätische Augenblick einmal zu Ende. Ja, und dieses Ende hieß in unserem Fall SV 1906 .

    Unsere Gegner waren schon da, und sie waren alle ein Jahr älter. Ein Jahr älter und zwei Köpfe größer als wir!
    „Hallo! Da seid ihr ja endlich!“, begrüßte uns Willi. „Und herzlich willkommen in der achten Dimension.“
    Ja, und als wollten unsere Gegner dieses Willkommen besiegeln, donnerte ihr Linksaußen den Ball so vors Lattenkreuz, dass sich selbst bei Maxi, dem Mann mit dem härtesten Schuss auf der Welt, die Nackenhaare aufstellten.
    Doch Willi machte uns Mut. Er beschwor uns: „Hey, Männer, die andern sind doch nur größer. Dafür seid ihr schneller als sie!“ Aber das war ein billiger Trost. Oder besser gesagt: eine Lüge.
    Vielleicht waren die anderen wirklich nur groß, aber wir waren auf keinen Fall schneller als sie. Wir kamen kaum aus dem Strafraum heraus, und obwohl Markus wie ein Unbezwingbarer die Bälle hielt, lagen wir zur Pause mit null zu drei hinten. Und das, das sage ich euch, war noch glücklich und gut.
    Doch Willi war nicht zufrieden mit uns.
    „Ihr traut euch überhaupt nichts mehr zu!“, schimpfte er. „Warum steht ihr sonst alle hinten? Normalerweise reicht ein Juli aus, um die Angriffe einer solchen Mannschaft rechtzeitig zu verhindern. Was ist mit euch los? Seid ihr nur müde, oder habt ihr wirklich vergessen, was gestern Nacht passiert ist? Gestern habt ihr euch gegenseitig euer Vertrauen bewiesen. Und wenn ihr euch gegenseitig vertraut, warum, verflixt nochmal, vertraut ihr dann nicht auch euch selbst? Juli! Diese Frage gilt besonders für dich. Zwei der drei Tore gingen auf deine Kappe, hast du gehört?!“
    „RAAAAH!“, knurrte ich meine Antwort, so wütend war ich. Aber ich war nicht wütend auf Willi. Ich war wütend auf mich. Willi hatte sogar noch untertrieben. Auch am dritten Tor war ich schuld. Ja, ich war nicht die Viererkette in einer Person, ich war nur das erbärmliche Loch in einem stinkenden Käse.
    So ging ich in die zweite Halbzeit hinein, und immer wieder schaute ich zu meiner Mutter hinüber. Doch sie war noch allein. Mein Vater war nicht gekommen, und ich sage euch, deshalb, ja nur deshalb spielte ich so. So würden wir das erste Spiel im Teufelstopf sicher verlieren. Schon schossen die Gegner das Null zu vier gegen uns, und wieder einmal war ich der Vorbereiter gewesen.
    Betreten holte ich den Ball aus dem Netz und schoss ihn zum Mittelkreis. Für so eine Leistung hätten mich meine Freunde nicht freikämpfen müssen, und so eine Leistung musste mein Vater nicht sehen.
    Da ertönte der Pfiff. Leon spielte den Ball, und im selben Augenblick sah ich ihn endlich. Mein Vater stand wirklich am Spielfeldrand, und er stand auch noch bei meiner Mutter. Das wusste ich im selben Moment, in dem ich den LKW-Fahrer erkannte. Den Mann, der mich in den Graffiti-Burgen dreimal vor dem Dicken Michi beschützt hatte.

    An das, was danach kam, kann ich mich nicht mehr hundertprozentig erinnern. So glücklich war ich! Ich kann euch nicht sagen, wie es passierte. Ob es nur an meinem Glückszustand lag oder ob ich es jedem erzählte. Auf jeden Fall sagte jeder Pass, jede Bewegung und jeder Blick von mir immer nur eins: Mein Vater ist heute da! Wir werden heut nicht verlieren!
    Der Ruck ging durch die ganze Mannschaft hindurch. Marlon war wieder die Nummer 10, unsere Intuition. Er trieb den Ball über das Feld und spielte den unvorstellbaren Pass in den Raum. Dort lauerte Leon, der Slalomdribbler, Torjäger und Blitzpasstorvorbereiter, schlug einen unerwarteten Haken und schoss zum Eins zu vier ein.
    Der nächste Angriff ging über rechts. Fabi rannte allen davon, flankte knallhart auf Leon, der verlängert weiter nach links, und Jojo, der mit der Sonne tanzt, täuschte mit einem Scherenschlag vor und donnerte das Leder satt und mit links in
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