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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Juden stand auch die Frau des Schertlin, die Waldenserin. Sie sah den Süß gebunden, sonderbar still, reglos wie ein Heiligenbild, das in Prozession durch die Stadt gefahren wird, Schnee in seinem Bart, Schnee auf seinem Rock. Sie, als einzige vielleicht dieser Zuschauer, ahnte Zusammenhänge, ahnte die Freiwilligkeit dieser schimpflichen Schaustellung. Gierig starrte sie, in zerrissenem, hohnvollem Triumph, auf den Mann, ihre kurzen, sehr roten Lippen standen halb offen, ihre länglichen Augen brannten. Eine Frau neben ihr sagte halblaut, stark schwäbisch: »Er hat immer hoch hinauf wollen. Jetzt kommt er noch höher.« – »Sale bête!« sagte die Waldenserin vor sich hin in den flockenden Schnee.
    An einer neuen Wegbiegung stand der Publizist Johann Jaakob Moser. Er begann, als der Zug in Sicht kam, eine kurze, markige, patriotische Ansprache. Aber seine feurigen Worte zündeten nicht, der Schnee löschte sie aus, die Leuteblieben stumm, er tat den Mund zu, bevor er zu Ende war. Kurz ehe der Zug sein Ziel erreichte, stand am Wege Nicklas Pfäffle, der blasse, gleichmütige Sekretär. Wie sein Herr ein letztes Mal vorüberkam, grüßte er tief. Süß sah ihn, nickte zweimal. Nicklas Pfäffle, wie der Karren vorbei war, folgte nicht zur Richtstatt, ging abseits, schluckte.
    Als der Zug vor dem Hochgericht ankam, hatte Nebel und Geflock aufgehört. Sehr klar im Frost unter dem hellen, weißlichen Himmel standen die Weinberge. Der Jude sah oben in den Rebenterrassen das kleine Wachhaus, sah unten den Wasserturm, das Andräenhaus, das Bad. Er wandte sich und sah Stuttgart. Die Stiftskirche, Sankt Leonhart, das alte Schloß und den Neuen Bau, für den er das Geld geschafft hatte. Zu seiner Linken ragte kahl der hohe Holzgalgen. Aber er schien unansehnlich vor dem abenteuerlichen, künstlichen, riesigen Eisengerüst, das für ihn bestimmt war. Eine gedoppelte Leiter mit zahllosen Sprossen, vielfach gestützt, türmte sich hinauf, Räderwerk, Ketten und Gewinde schlang sich, den Käfig hochzuziehen. Das weite Feld war besetzt mit Menschen. Das hockte gierig und gespannt auf allen Vorsprüngen, Zäunen, Bäumen. Von ganz weit her schaute es mit großen, plumpen Fernrohren. Auf dem Rock des Süß war der Schnee gefroren, in Frost und Helle schimmerten die kleinen Kristalle auf seinem Barett, in seinem weißen Bart.
    Auf drei großen Tribünen, jede für sechshundert Menschen, saßen die Damen und Kavaliere, die Herren des Hofes, hohe Beamte und Militärs, die auswärtigen Gesandten, die Herren des Gerichts, des Parlaments. Der Geheimrat von Pflug vornean. Er hatte bis zuletzt gefürchtet, der Hebräer, die Bestie, werde doch noch durch irgendeinen ganz verschmitzten jüdischen Schlich entkommen. Jetzt war es an dem, jetzt war das Ziel seines Lebens erreicht. Jetzt wird, jetzt gleich, der Verhaßte hochschweben, erwürgt. Die harten Augen des Geheimrats suchten gierig unter dem Kragen des Rockes den Hals des Juden, den Platz für den Strick. Herrlich ist es, den Tod des Feindes mit anzuschauen, einBad für die Augen, angenehm und lieblich ist der Klang der Todestrommeln, das Scheppern des Glöckleins. Unter den Damen waren manche, die den Süß sehr genau kannten und trotzdem aus irgendwelchen Gründen der Untersuchung entgangen waren. Nun schauten sie auf den Mann, mit dem sie verstrickt waren, befremdet, angefrostet. Er hatte sich sehr jung gegeben, er hatte, weiß Gott, erwiesen, daß er die Kraft eines Jünglings besaß, er konnte auch allerhöchstens vierzig sein, und jetzt hatte er weißes Haar und sah aus wie ein alter Rabbiner. Man mußte sich eigentlich vor sich selber schämen, daß man mit ihm im Bett gelegen war. Doch merkwürdigerweise schämten sie sich nicht. Gierig und gelockt schauten sie auf den sonderbaren Mann. Jetzt wird er gleich tot sein, jetzt wird er gleich für immer stumm und alle Gefahr vorbei und ihre Verstrickung sehr gewaltsam und schauerlich gelöst sein. Sie warteten darauf, lüstern und zitternd, sehnten sich danach, fürchteten sich davor. Die meisten von ihnen hätten sich lieber für ihr ganzes ferneres Leben unter die Gefahr der Entdeckung geduckt, hätte er leben dürfen.
    Auch der junge Michael Koppenhöfer war auf der Tribüne. Nun also wird der Mühlstein zermahlen, der dem Land so lang um den Hals hing, der Landverderber schimpflich justifiziert. Aber: diesen hätt die Demoiselle Elisabeth Salomea nicht verabschiedet, fahrig hin und her hastend zwischen Büchern und Stapeln von
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