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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Flockiger, sich lösender Schnee fiel, durch nebelige, trübe Luft brach, immer wieder verschwindend, blasse Sonne. Draußen vor dem Portal drängte sich neugierig und unabsehbar zahllos das Volk, Herr von Röder hielt auf seinem alten Fuchs vor der starken militärischen Eskorte, auf hohen Rädern ragte kahl der Schinderkarren, der Henker mit seinen Gehilfen in grellen Farben um ihn herum.
    Endlich wurde Süß die Stufen heruntergeführt. Es war den Juden verstattet worden, ihn hier nochmals zu sprechen. Er beugte den Kopf nieder. Der kleine Rabbi Jaakob Josua Falk legte ihm die welken, milden Hände aufs Haupt und sagte: »Es segne dich Jahve und behüte dich. Es lasse leuchten Jahve sein Antlitz über dich und begnade dich. Es wende Jahve sein Antlitz dir zu und gebe dir Frieden.« – »Amen Sela«, sagten die beiden anderen.
    Umständlich wurde der Jude auf den hohen Schinderkarren gesetzt und gebunden. Trotz Frost und Nässe stand der ganze Marktplatz dick voll von Volk. Alle Fenster des Herrenhauses, des Rathauses, der Apotheke, des Sonnenwirtshauses waren weiß von Gesichtern. Auf dem Röhrbrunnen, ja selbst auf dem Schnapsgalgen und dem Hölzernen Esel hingen die Buben. Stumm glotzte das Volk. Herr von Röder gab seinen Reiternmit seiner knarrenden Stimme das Kommando. In Bewegung setzte sich die Eskorte, Stadtreiter voran, zwei Trommler, dann eine Kompanie Grenadiers zu Fuß. Jetzt schwang sich ein Schinderknecht auf das Pferd des Karrens, schnalzte mit der Zunge, der Gaul zog an. Der kleine Rabbi Jaakob Josua Falk, mit fahlen Lippen, wiederholte: »Und gebe dir Frieden.« Doch der zornige Rabbiner von Fürth konnte sich nicht halten, wilde Flüche gurgelte er hinter dem Karren her gegen Edom und Amalek, die Feinde und Frevler. Isaak Landauer aber brach in ein gelles, ungezähmtes, tierisches Heulen aus. Es war sonderbar, den großen Finanzmann zu sehen, wie er den Kopf gegen den Torpfosten des Rathauses schlug und ohne Hemmung heulte. Nun begann auch die Malefikantenglocke zu läuten. Dünn, scharf, scheppernd mischte sie sich in das Geheul des Juden, drang durch die schneeige, dämpfende Luft, ins Mark reißend.
    Schepperte in das Zimmer Magdalen Sibyllens. Sie hatte die Geburt gut überstanden, doch mußte sie noch liegen. Sie schaute auf das Kind, ein normales Kind, nicht groß, nicht klein, nicht schön, nicht häßlich. Sie hörte das scharfe Gewimmer der Glocke, sie krümmte sich nervös, sie schaute auf ihr und Immanuel Riegers Kind, und sie liebte es nicht.
    Die Glocke schepperte auch ins Schloß, wo der alte Regent saß mit Bilfinger und Harpprecht. Die drei Männer schwiegen. Dann endlich sagte Harpprecht: »Das Läuten klingt mir nicht lieblich ins Ohr.« Karl Rudolf sagte: »Ich hab es müssen tun. Ich schäm mich, ihr Herren.«
    Unterdes wurde Süß durch die Stadt geführt, der Galgensteige zu. Er saß auf dem Schinderkarren, hoch wie ein Götzenbild, in seinem scharlachfarbenen Rock, der Solitär glänzte an seinem Finger, der Herzog-Administrator hatte nicht erlaubt, daß man ihn des Ringes beraubte. Die Straßen waren gesäumt mit Menschen, es flockte, die Prozession schritt sonderbar lautlos, die Menge schaute sonderbar lautlos zu. Die Zehntausende zogen, war der Delinquent vorbei, zu Fuß, zu Pferd, zu Wagen, neben, hinter den eskortierendenTruppen her. In der blassen, nebligen Luft, in dem schmutzigen, sich lösenden Schneegeflocke war alles doppelt schwer und still. Man nahm nicht den nächsten Weg, man führte den Juden langsam und umständlich im Bogen. Viele Zuschauer waren von weither gekommen, das ganze Land wollte dabeisein, auch von jenseits der Grenzen waren viele gekommen, man wollte allen das Schauspiel zeigen. Süß thronte hoch auf dem Karren, gebunden, steif, Schnee fiel auf seine Kleider, auf seinen weißen Bart.
    An seinem Weg stand der Lizentiat Mögling. Er war betrübt und bedrückt, daß seine Verteidigungsschrift so gar nichts genützt hatte. Er durfte sich zwar sagen, er habe alles getan, auch sprach die vox populi einheitlich und mächtig gegen den Verurteilten. Aber es war doch bitter und schnürend, daß dieser Angeklagte, der ihm anvertraut war, ohne juristisch zureichenden Grund gehenkt wurde. Er fühlte sich unbehaglich, angefrostet. Er veranlaßte einen Henkersknecht, dem Süß einen Becher Wein hinaufzureichen. Der nahm ihn zwar nicht, er dankte nicht einmal, er blieb vollkommen unbeweglich, aber der Lizentiat fühlte sich leichter und wärmer.
    Am Wege des
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