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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Wäsche, diesem war sie zugefallen, und er hatte sich wohl nicht einmal sonderliche Mühe zu geben brauchen. Der alte, krumme Jud, was war an ihm? Was war sein Geheimnis? Neidisch und bitter starrte er hin zu dem Mann auf dem Schinderkarren. Doch der junge Geheimrat Götz, unter den Richtern, schaute voll dummer, dumpfer Befriedigung. Jetzt wird die Schmach seiner Mutter und seiner Schwester ausgelöscht. Soll dann einer wagen, schief zu blicken. Wie wird er ihn niederblitzen! Wie wird er wissen, was er zu tun hat!
    Aber fein und schwach saß auf der Tribüne der alte, verfallene Weißensee. Nenikekas, Judaie! Nenikekas, Judaie! Ach,der Jude hatte ihn wiederum besiegt. Hatte von allen Tafeln geschmaust, alle feinsten Leckerbissen dieser Welt mit Augen, Sinnen, Hirn geschmeckt, jeden Sieg und jede Niederlage ausgekostet, hatte sich angefüllt mit dem tragischen Ende des Kindes, hatte die bunte, farbige, überfeine, überwilde, höllenschweflige Rache gerüstet und vollendet, und nun starb er diesen Tod, die Augen der ganzen Welt auf sich, diesen abenteuerlichen und wahrscheinlich freiwilligen Tod, viel heroischer als etwa der Tod vor dem Feind. Umprasselt von Haß, umhegt von Liebe, zwielichtig, groß. Was blieb von ihm, von Weißensee? Ein paar jämmerliche Verse seiner armselig verbürgerten Tochter. Doch jener wird weiterleben. Immer wieder wird, was er war, lebte, sah, dachte, starb, von Späteren in die Hand genommen werden, nachdenklich beschaut, nachgelebt, nachgespürt, nachgestorben werden.
    Süß war vom Schinderkarren losgebunden worden. Er stand, die Glieder steif, blinzelte. Er sah die Menschen in den Logen, die Perücken, die geschminkten Gesichter der Frauen. Er sah die Truppen, die den Platz absperrten. Ei, man hatte sich mächtig angestrengt; das waren allein um den Galgen mindestens fünf Kompanien. Selbstverständlich hatte, sichtbarlich vornean, der Major von Röder die militärische Oberleitung. Ja, ja, es brauchte viel Strategie, ihn, den Süß, jetzt vollends aus der Welt zu schaffen. Süß sah die Zehntausende von Gesichtern, neugierige Weiber, die Münder bereit zum Keifen, Männer, bereit, befriedigt zu schmatzen und zu knurren, Kindergesichter, pausbäckig, großäugig, bestimmt, so leer und bösartig zu werden wie die Fratzen der Eltern. Er sah den Atem der Menge, weißlich dampfend, sehr leibhaft in dem hellen Frost, die gierigen Augen, die gereckten Hälse, die sich vormals so devot vor ihm gebeugt hatten. Er sah das Vogelbauer, den umständlichen, schimpflichen Apparat seiner Tötung. Und während er dies sah, drang in sein Ohr etwas Plärrendes, Kläffendes. Der Stadtvikar Hoffmann hatte es sich nicht nehmen lassen, ihn unterm Galgen zu erwarten, nochmals auf ihn einzureden, von Himmel und Erde, vonVerzeihung der Menschen und Gottes, von Sühnung und Glauben. Süß sah dies und hörte dies, er schaute langsam den Stadtvikar auf und ab, wandte sich weg, spie aus. Aufgerissene Augen, leises, empörtes, rasch verstummendes Schnauben der Menge.
    Jetzt machten sich die Schinderknechte in ihren neuen, grellen Uniformen an ihn heran, öffneten ihm den Rock. Er spürte die rohen, ungefügen Hände, Ekel stieg hoch, er reckte sich, seine Steifheit war weg, er schlug um sich, wehrte sich verzweifelt. Alle Hälse wurden länger. Es war kurios anzusehen, wie der Mann in dem weißen Bart, in den Galakleidern, den blitzenden Edelstein an der Hand, sich mit den Knechten herumschlug, zappelte. Die Kinder lachten, jubelten, patschten in die Hände; auf den Tribünen begann eine geschminkte Frau schrill und anhaltend zu schreien, man mußte sie wegbringen. Das Barett des Juden fiel auf die nasse Erde, wurde in Kot gestampft. Die Henker packten ihn hart an, rissen ihm den Rock auf, sperrten ihn in den Käfig, legten ihm die Schlinge um den Hals.
    Da stand er. Hörte leisen Wind, den Atem der Menge, die scharrenden Hufe der Pferde, das Keifen des Geistlichen. War dies das Letzte, was er auf Erden hören wird? Er dürstete nach anderem, er tat Herz und Ohr weit auf, er wollte anderes hören. Doch er hörte nur dies, dazu den eigenen Atem und das Surren des eigenen Blutes. Schon schwankte der Käfig, hob sich. Da, durch die leeren, grausamen Geräusche ein anderer Ton, gellende, gurgelnde Stimmen, schreiende: »Eins und ewig ist das Seiende, das Überwirkliche, der Gott Israels, Jahve, Adonai.« Es sind die Juden, der kleine Jaakob Josua Falk, der dicke Rabbiner von Fürth, der schmierige Isaak Landauer. Sie
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