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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß
Autoren: Lion Feuchtwanger
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sorgsam repariert, der Schinderkarren wurde mit höheren Rädern, das Malefikantenglöcklein mit einem neuen Strick versehen, die Schinderknechte bekamen neue Uniformen.
    Größtes Gewicht wurde auf die solide Ausführung der witzigen Pläne des Herrn von Pflug gelegt. Der Jud hat gespottet, höher, als der Galgen ist, könnte man ihn nicht hängen. Man wird ihm zeigen, was man kann. Man wird einfach den eisernen Käfig, das Vogelbauer, über den Galgen hinaufziehen.
    Die Ausführung des Käfigs und des zugehörigen umständlichen Apparats wurde den Meistern Johann Christoph Faust und Veit Ludwig Rigler anvertraut. Der Käfig war in zwei Teile zerlegbar, acht Schuh hoch, vier Schuh weit, er hatte in der Rundung vierzehn Reifen und siebzehn Stangen in die Höhe. Eine sinnreiche Maschinerie ermöglichte es, ihn leicht über den Galgen hochzuziehen. Seine Herstellung war außerordentlich teuer. Zuletzt mußte das gesamte Schlosserhandwerk einen Streich an dem Käfig tun. Sechs Pferde schleppten zwei Tage vor der geplanten Exekution das monströse Ding die steile Tunzenhofer Steige hinauf. Die Schuljugend der Hauptstadt lief mit. Ganz Stuttgart zog in diesen Tagen hinauf zur Galgensteige. In rasch errichteten Buden wurde Wein und Bier verschenkt, Händler boten fliegende Blätter aus mit dem Bild des Juden und Spottversen. In der fröhlichen Kälte trieb man sich lärmend herum auf dem Richtplatz, schaute interessiert der Aufschlagung der Logen zu, bewunderte die Polierung des Galgens, den sinnreichen Käfig.
    Die Wirkung dieses Vogelbauers auf das Volk übertraf noch die Erwartungen des Herrn von Pflug. Ein ungeheuresGewieher und Gegrinse ging durch die Stadt, durch das ganze Land. Zahllose Reime mit Vögeln flogen auf, wurden von den Kindern auf den Straßen gesungen. Nur wollte man nicht glauben, daß Herr von Pflug der Autor dieses guten Witzes sei; das Volk schrieb vielmehr die ingeniöse Idee mit dem Vogelbauer seinem Liebling zu, dem allgemein geschätzten Major von Röder. Im Anschluß an die Vogelverse wurde denn auch gewöhnlich das Lied gesungen mit den Reimen: »Da sprach der Herr von Röder / Halt! oder stirb entweder!«
    In der Zelle des Süß saßen Rabbi Gabriel und Rabbi Jonathan Eybeschütz. Der große Paß der Generalstaaten hatte dem Mynheer Gabriel Oppenheimer van Straaten das Gefängnis ohne weiteres geöffnet. Nun saßen die drei Männer und hielten Mahlzeit. Rabbi Gabriel hatte Früchte mitgebracht, Datteln, Feigen, Apfelsinen, auch Backwerk und starken, südlichen Wein. Süß trug den scharlachfarbenen Rock, ein Barett über dem weißen Haar, über der Nase zackten ihm wie den beiden Rabbinern in die Stirn die drei Furchen, bildend das Schin, den Anfangsbuchstaben des göttlichen Namens Schaddai. Er tauchte Feigen in den Wein. Dies war seine letzte Mahlzeit. Rabbi Gabriel zerteilte mit den dicklichen Fingern eine Apfelsine. Die drei Männer saßen, verzehrten die Früchte, schweigend und in großem Ernst. Aber ihre Gedanken gingen schwer und flutend vom einen zum andern. Rabbi Gabriel und Süß waren eins, und Rabbi Gabriel empfand zum erstenmal diese Bindung nicht als Zwang und böses Schicksal, sondern als Geschenk. Der dritte aber, Jonathan Eybeschütz, spürte den gleichen Strom wie sie, allein er war ausgeschlossen davon, er stand am Ufer, und die Welle trug ihn nicht. Er saß mit ihnen, er trank mit ihnen, er trug das Zeichen des Schin wie sie, er war wissend und erweckt wie sie: aber die Welle trug ihn nicht. Rabbi Gabriel bestreute umständlich die Schnitten der Apfelsine mit Zucker und verteilte sie. Er schenkte von dem südlichen, schwarzfarbenen Wein. Die Zelle war voll von ungesprochenem Wort, von Gedanke,Gesicht, Gott. Doch an Rabbi Jonathan nagte es, bitter, zerrend, bösartig. Er machte sich mit zynischem Witz lustig darüber: Es war leicht, Aufschwung zu haben, wenn man gehenkt wurde. Aber dieser schlimme Trost verfing nicht, er fühlte sich, der Reiche, Wissende, als kahlen Neidling und halben Verräter. Und als er den beiden anderen die Verse des Tischgebets zurückgab, prunkend in seidigem Kaftan und milchig fließendem weißem Bart, würdig, wissend, hochgeehrt, war er ein armer, trüber, vertaner Mann.
    In der Eingangshalle des Rathauses, während ihm oben nochmals das Urteil verkündet und der Stab über ihn gebrochen wurde, wartete auf Süß der milde, welke Rabbiner von Frankfurt, der beleibte, sanguinische Rabbiner von Fürth und fröstelnd und erregt Isaak Landauer.
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