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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Wetter und Geschrei gegangen war. An dreißig Jahre waren es jetzt, daß er mit ihr zusammenlebte. Was hatte seither die Herzogin gejammert, geschrien, gezetert, gewinselt, intrigiert, ihn von der Frau zu lösen. Was hatten seine Geheimräte angestellt, der Kaiser, die Prälaten, das verfluchte Gesindel vom Parlament, die Gesandten von Kurbraunschweig und Kassel. An dreißig Jahre war die Frau verhaftet mit allem, was das Land und er erlebt hatten. Sie war er, sie war Württemberg. Dachte man Württemberg, so dachte man: die Frau, oder: die Hure, oder: die Gräfin, oder: die Maintenon von Schwaben. Ob kühl oder hassend, wie immer interessiert, jeder Gedanke an das Herzogtum war ein Gedanke an die Frau.
    Bloß er, er allein, und er lächelte, konnte die Frau denken, gelöst von Politik, gelöst von dem Herzogtum. Nur er konnte denken: Christl, und es war kein Gedanke an Soldaten, Geld, Privilegien, Zänkereien mit dem Parlament, verpfändete Schlösser und Herrschaften, sondern nur die Frau, allein, lächelnd, sich im entgegenräkelnd.
    Und jetzt war es also aus, er wird sich wieder mit der Herzogin versöhnen, und die Landschaft wird jubeln und ihm ein großes Präsent machen, und der Kaiser wird zufrieden mit dem schlaffen Kopf wackeln, und der grobe, schlecht angezogene König von Preußen wird ihm Glückwünsche schicken,und die europäischen Höfe werden den Skandal vermissen, über den jetzt bereits die zweite Generation klatscht. Und dann wird er der Herzogin einen Sohn machen, und das Land wird einen zweiten richtigen Erben haben, und im Himmel und auf Erden wird Wohlgefallen sein.
    Er blies heftig durch die Nase. Ein dumpfes Wüten stieg in ihm auf, wenn er an die Freude dachte, mit der das Herzogtum, das ganze Deutschland den Sturz der Frau feiern würde. Er hörte, hörte, wie das Land aufatmete, er sah die fetten Bürgerkanaillen seines Parlaments, wie sie triumphierend grunzten, breitmäulig, sich die Schenkel schlagend, er sah die nüchternen, steifleinenen, korrekten Verwandten der Herzogin und ihren magern, sauern, höhnischen Jubel. Das ganze Geziefer wird herfallen über die Frau wie über ein Aas. Sein Leben lang hat er die Frau gehalten gegen das Gesindel; jetzt, wenn er sie läßt, er ist fünfundfünfzig, wird es ihm das Gesindel als Greisenschwäche ausdeuten. Er hat zahllose Reskripte erlassen, die jedes unehrerbietige Wort gegen die Gräfin schwer bestrafen, er hat sich mit dem Kaiser brouilliert, er hat seinen Jugendfreund und Ersten Minister aus dem Land gejagt wegen eines frechen Wortes über die Frau, er hat sich herumgeschlagen mit seinen Räten, seinem Parlament, mit dem ganzen Land um Steuern, immer neue Steuern, um Geld, Geld, Geld für die Frau. Er hat sie gehalten, gegen Land, Reich und Welt gehalten an dreißig Jahre.
    Was war das für ein Sturm damals durch ganz Europa, als er sich gleich zu Beginn ohne lange Umstände die Gräfin als zweite Gemahlin neben der Herzogin hatte antrauen lassen. Es regnete kaiserliche Bitten, Beschwörungen, Drohungen, die Stände kläfften wie tolle Hunde, die Verwandten der Herzogin, die Baden-Durlachischen, sahen grün und blau vor Wut und Verachtung, man wetterte von den Kanzeln gegen ihn, verweigerte ihm das Abendmahl, das ganze Land war ein Gischt und Strudel. Nun gut, er hatte sich gefügt, er hatte das Eheverlöbnis mit der Gräfin aufgehoben, hatte sich mit der Herzogin wieder ausgesöhnt. Was freilich die Zuneigung betrafund die daraus entstehende eheliche Beiwohnung – er lächelte, wie er sich der hübschen Phrase erinnerte, mit der er den Kaiser abgespeist hatte, der Bruder der Gräfin hatte sie ihm gedrechselt –, die Zuneigung also und die daraus entstehende eheliche Beiwohnung war eine Sache, die von Gott und ihm selbst abhing und zu der ein Reichsfürst durch Fremde nicht gezwungen werden konnte. Und dann auf frische, scharfe Befehle des Kaisers hin hatte er die Christl wirklich weit außer Landes geschickt und sich von seinem dankbaren Parlament viel Geld dafür bezahlen lassen, und das ganze Land hatte gejubelt. Aber dann – er schmunzelte, dies war doch der beste Streich seines Lebens – hatte er durch seine Agenten in Wien einen mürben Trottel von Grafen auftreiben lassen, und mit dem hatte er die Christl verheiratet und ihn zu seinem Landhofmeister gemacht, und als Landhofmeisterin kehrte die Frau zurück unter dem Toben des betrogenen Württemberg, dieweil der Kaiser ohnmächtig und bedauernd die Achseln zuckte: wer wollte
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