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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß
Autoren: Lion Feuchtwanger
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und Soldaten hätten das nicht besser machen können. Er gönnte ihnen gern den Solitär als Entgelt, ließ sie nicht verfolgen. Blaurot, dumpf wütend, mit seiner moderigen Stimme grausige Flüche vor sich hin bellend, zog der hagere Portugiese ab in seiner verschollenen Hoftracht.
    Die Leiche indes, in großer Eile in Rupfen gewickelt, unter Stapeln von Waren und Kram versteckt, fuhr auf einem Karren nach Fürth. Hausierjuden geleiteten sie, wechselten ab von einem Ort zum andern. Der Solitär stak am Finger des Toten; keiner von den Geleitern fürchtete, sein Nachfolger könnte ihn stehlen.
    In Fürth wurde die Leiche gewaschen, in das weiße, lange Totenleinen gehüllt, eingesargt. Zeigefinger, Mittelfinger, Goldfinger gerichtet im Zeichen des Schin, des Anfangsbuchstabens des göttlichen Namens Schaddai; ein kleines Häuflein Erde unter das Haupt, schwarze, krümelnde Erde, Zions Erde. Den Aufsichtsbehörden war gemeldet, ein nicht weiter bekannter toter Jud aus Frankfurt, gestorben auf der Landstraße, werde beerdigt. Auch den Mitgliedern der Gemeinde wurde nichts mitgeteilt. Aber es raunte von Mund zu Mund.
    Da lag der Unbekannte, das schwarzblaue erwürgte Gesicht sonderbar umrahmt von dem schmutzigweißen Bart, die Augen hatten sich nicht zudrücken lassen, sie quollen trüb bräunlich heraus, doch zwischen ihnen über der Nase zackten sich tief in die Stirn die drei Furchen des Schin. Aus dem weißen, einfachen Laken leuchtete riesig und verwirrend der Solitär. Die zehn angesehensten Männer der Gemeinde saßen zwischen großen Kerzen und verhängten Fenstern und hielten Wache.
    Unter sie trat ein Fremder. Dicklich, bartloses, massiges Gesicht, graue, trübe Steinaugen, altfränkische Tracht. Wasser goß er hinter sich, da er das Totenzimmer betrat, Wasser zu Häupten, Wasser zu Füßen des Toten. Die Männer erkannten den Kabbalisten, flüsterten, gaben Raum.
    An die Leiche trat Rabbi Gabriel, knarrte mit seiner mißtönigen Stimme den Segensspruch: »Gerühmt seist du, Jahve, Gott, gerechter Richter.« Mit den dicklichen Fingern, behutsam, rührte er die Lider des Toten, da schlossen sich die Lider. Dann setzte er sich auf den Boden, senkte zwischen die Knie den Kopf. Die zehn Männer waren bis zur Wand zurückgewichen. Sehr allein trotz ihrer Gegenwart, ein kleines, verlorenes Bündel, hockte Rabbi Gabriel bei dem Toten.
    Alle Juden aus Fürth waren auf der Gräberstatt, als der Unbekannte beerdigt wurde. Sie senkten den Sarg in den Grund. Der Solitär war am Finger des Toten, unter seinem Haupt das kleine Häuflein Erde von der Erde Zions. Im Chor antworteten sie dem Vorbeter: »Eitel ist und vielfältig ist und Haschen nach Wind ist die Welt; doch eins und ewig ist der Gott Israels, das Seiende, Überwirkliche, Jahve.« Dann rissen sie Gras aus und warfen es hinter sich. Und sie sprachen: »Wie das Gras welken wir aus dem Licht.« Und sie sprachen: »Wir gedenken, daß wir Staub sind.« Dann wuschen sie sich die Hände in fließendem, dämonenscheuchendem Wasser und verließen den Friedhof.

Zu diesem Band
    Als Feuchtwanger im Herbst 1916 die Biographie »Josef Süss Oppenheimer, ein Finanzmann des 18. Jahrhunderts. Ein Stück Absolutismus- und Jesuitengeschichte« von Manfred Zimmermann las, fand er zunächst nichts Außergewöhnliches am Leben dieses Mannes. Es stellte sich ihm als eines der seit dem Mittelalter bis in die Neuzeit häufig wiederkehrenden Schicksale jüdischer Finanzleute in herrschaftlichem Dienste dar, die das Risiko tragen, »nach einem Leben voll Pracht im Kerker oder am Galgen« zu enden – als Sündenbock vorgeschickt, wenn finanzielle Manipulationen fehlschlugen. Aufmerksam wurde er erst bei der Anmerkung des Biographen, Josef Süß, »der es im übrigen mit den rituellen Vorschriften durchaus nicht genau genommen habe, habe sich geweigert, zum Christentum überzutreten, trotzdem er dadurch wahrscheinlich sein Leben hätte retten können«. In dem Aufsatz von 1928 »Über Jud Süß« erläuterte Feuchtwanger, was ihn zur literarischen Gestaltung bewog: »… was ich machen wollte, das war: den Weg des Menschen weißer Haut zu zeichnen, den Weg über die enge europäische Lehre von der Macht über die ägyptische Lehre vom Willen zur Unsterblichkeit bis hin zu der Lehre Asiens vom Nichtwollen und Nichttun. Daß ich einen Juden diesen Weg gehen ließ, geschah deshalb, weil sich in Wesen und Schicksal des Juden die Entwicklung des weißen Menschen nach Asien hin besonders
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