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Die Erben

Die Erben

Titel: Die Erben
Autoren: EJ Waldau
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1. Kapitel

    - 1 -

Lyn

    Hätte mein Leben einen Soundtrack, dann würde heute wohl etwas mit viel Bass und Elektrogitarren laufen. Und dazu bitte eine wütende Stimme, die ironisch davon singt, wie toll die Welt doch ist.

Denn genau dieses Bild musste ich hier abgeben.

Meilenweit standen Einfamilienhäuser unter einem strahlend blauen Himmel, allesamt mit perfekt beschnittenen Rosenhecken in den Vorgärten, die den Dünger, mit dem man sie überhäuft hatte, wahrscheinlich auskotzen würden, wenn sie das könnten und inmitten dieser Idylle stampfe ein wütender dunkler Punkt missmutig vor sich hin.

Das war ich. Lyn Westera.

Zugegeben, mein Auftreten war ein wenig übertrieben, aber nach diesem furchtbaren Schultag waren Übertreibungen gestattet.

Ich ging den Kieselweg auf unser grasgrün gestrichenes Haus zu und schloss die Tür auf, als auch schon meine Mum auf mich zu geschossen kam und damit begann auf mich einzureden. Ich verstand kein Wort, da ich noch immer meine Kopfhörer trug und widerwillig zog ich an der Schnur, um sie mir aus den Ohren zu ziehen.

„…so lange? Seit einer halben Stunde warte ich mit dem Essen auf dich. Du brauchst doch sonst nicht so lange.“ Meine Mum war ziemlich klein und dementsprechend lustig sah es aus, als sie ihre Hände in die Hüften stemmte und mich fordernd ansah. Ihre erst siebzehnjährige Tochter, die sie aber dennoch um mehr als einen Kopf überragte.

„Sorry, ich bin heute Heim gelaufen, hab eh keinen Hunger“, gab ich nur müde zurück und begann die Treppen nach oben zu schlurfen.

„Bist du sicher?“, bohrte meine Mum nach und ich hörte sie näher an die Treppe gehen. „Wenn es dir nicht gut geht, solltest du erst Recht etwas essen. Es ist nicht gesund, wenn man-“

Zack!
    Ruhe durch Türe schließen.

Ich schmiss mich auf mein Bett und vergrub meinen Kopf in den zahllosen Kissen, die auf meinem Bett lagen, um vor lauter Wattegefühl einfach zu vergessen, dass ich nächste Woche vier Klausuren in nur drei Tagen schreiben musste und ich Brad aus meinem Geschichtskurs eine saftige Strafarbeit zu verdanken hatte. Er hatte Mr. Verner davon in Kenntnis setzten müssen, dass ich die letzte Hausaufgabe abgeschrieben hatte.

Wohlgemerkt bei Brad selbst.

Die Bezahlung sollte ein Date sein, was ich schon aus Prinzip nicht gemacht hätte, da Brad zwar ganz gut aussah, dafür aber mindestens genauso dämlich war. Außerdem hatte ich mitbekommen, dass er mit einem seiner nicht minder idiotischen Kumpels gewettet hatte, mich weich zu kriegen. Also lehnte ich ab. Natürlich erst, als ich mit Abschreiben fertig war. Ich gebe zu, ich hatte einem intellektuell dermaßen zart besaiteten Menschen wie ihm keine Rachegelüste zugetraut.

Die Wahrheit war allerdings, dass es keine Besonderheit war, dass ich irgendwelchen Stress mit Mitschülern hatte. Ärger zog ich fast schon magisch an.

Irgendwann musste ich über mein Elend eingeschlafen sein, denn als es an der Tür klingelte, schreckte ich auf und ein Blick auf die Uhr verkündete bereits sieben Uhr abends.

„Lyn, komm mal runter, hier ist Besuch“, rief meine Mutter mit süßer Stimme und noch etwas verschlafen krabbelte ich aus meinem Bett, um mich den Gang entlang zur Treppe zu schleppen.

„Thor“, jaulte ich auf, als ich meinen Bruder im Flur stehen sah und plötzlich hellwach sprang ich die Stufen hinunter.

„Was machst du denn hier?“, fragte ich aufgeregt und schmiss mich ihm um den Hals.

Diese seltenen Gefühlsausbrüche meinerseits galten eigentlich immer meinem Bruder. Seit zwei Jahren lebte er jetzt in Massachusetts, weil er dort einen festen Job als Sozialarbeiter angeboten bekommen hatte und seit dem sah ich ihn nicht mehr so häufig.

„Darf ich meine Familie nicht mehr ohne Grund besuchen?“, erwiderte er augenzwinkernd und hob mich mühelos hoch.

Als er mich wieder absetzte, musterte ich ihn und legte den Kopf ein wenig schräg.

„Du hast deine Haare geschnitten“, stellte ich etwas enttäuscht fest und deutete auf die Stoppeln, die seinen Kopf schmückten.

„Gut erkannt“, lachte er und fuhr sich mit der Hand über den Schädel. „Ich hatte irgendwann einfach keine Lust mehr mir jeden Morgen Gel in die Haare zu schmieren, aber ohne hab’ ich ausgesehen wie ein Vollidiot.“

„Als wäre das jetzt anders“, zog ich ihn auf und Thor verwuschelte meine Haare.

„Frech wie eh und je.“

Äußerlich sahen mein Bruder und ich uns angeblich sehr ähnlich, was ich als Kompliment
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