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Jetzt Plus Minus

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Titel: Jetzt Plus Minus
Autoren: Robert Silverberg
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zerfressen, wenn wir hineintauchten, und vermutlich auch unsere Knochen. Ich habe gestern ein Gedicht geschrieben und das Blatt hineingeworfen; das Papier löste sich sofort auf.
    An den Abenden gehen wir am Strand entlang und führen philosophische Gespräche. Die Sonnenuntergänge an dieser Küste werden durch satte Töne von Purpur, Grün, Blutrot und Gelb bereichert. Manchmal jubeln wir, wenn eine besonders schöne Kombination von atmosphärischen Gasen das Sonnenlicht verwandelt. Unsere Stimmung ist stets optimistisch und fröhlich. Wir sind nie bedrückt von den Dingen, die wir auf diesem Planeten finden. Selbst Verwüstung kann eine Kunstform sein, nicht wahr? Vielleicht ist es sogar eine der größten Kunstformen, da eine Kunst der Zerstörung ihr Medium verschlingt, ihre eigenen epistomologischen Grundlagen, und in dieser großartig auslöschenden Rückkehr zu ihren Ursprüngen überragt sie in moralischer Komplexität bei weitem jene Formen, die nur produktiv sind. Das heißt, ich messe der verwandelnden Kunst einen höheren Wert zu als der schaffenden. Ist der Sinn klar? Da Kunst den Geist des Betrachters veredelt und erhebt, sind wir jedenfalls durch die Verfassung der Erde veredelt und erhoben. Wir beneiden jene, die zusammengewirkt haben, um diese außerordentlichen Bedingungen zu schaffen. Wir wissen, daß wir Leute mit kleinen Seelen aus einer minderen, späteren Epoche sind; uns fehlt die dynamische Größe und Energie, die es unseren Vorfahren gestattet hat, solche Verheerungen anzurichten. Diese Welt ist eine Symphonie. Man könnte natürlich behaupten, es verlange mehr Energie, einen Planeten wiederherzustellen, als ihn zu zerstören, aber da würde man sich irren. Obwohl unsere tägliche Arbeit uns erschöpft, sind wir trotzdem auch erregt und stimuliert, weil wir durch die Restauration dieser Welt, der Mutterwelt der Menschheit, in einem gewissen Sinn am ursprünglichen großartigen Prozeß ihrer Verwüstung beteiligt sind. Ich meine, in dem Sinn, daß die Auflösung einer Dissonanz auch an ihr selbst teilnimmt.
    Jetzt sind wir nach Tokio gekommen, der Hauptstadt des Inselreichs Japan. Sehen Sie, wie klein die Skelette der Einwohner sind? Das ist eine Methode für uns, diese Gegend als Japan auszumachen. Man weiß, daß die Japaner kleingewachsene Leute gewesen sind. Edwards Vorfahren waren Japaner. Er ist kleingewachsen. Edith meint, seine Haut müßte auch gelb sein. Seine Haut ist genau wie die unsere. Warum ist seine Haut nicht gelb? »Seht ihr?« ruft Edward. »Da ist der Fudschijama!« Es ist ein ungewöhnlich schöner Berg, mit einem weißen Mantel. An seinen Hängen ist eines unserer archäologischen Teams an der Arbeit und gräbt Tunnels unter dem Schnee, um Proben aus den Schichten von chemischen Reststoffen, Staub und Asche aus dem zwanzigsten Jahrhundert zu nehmen. »Es hat einmal über 75000 Fabrikschornsteine rund um Tokio gegeben«, sagt Edward stolz, »aus denen Hunderte Tonnen von Schwefel, Stickstoffoxyden, Ammoniak und Kohlengasen am Tag drangen. Wir sollten auch nicht vergessen, daß es in der Stadt über eineinhalb Millionen Autos gab.« Viele von den Autos sind noch sichtbar, aber sie sind sehr zerbrechlich, durch die Einwirkung der Atmosphäre zerfressen. Wenn wir sie berühren, zerstäuben sie zu grauen Rauchwolken. Edward, der sein Erbe genau studiert hat, sagt uns: »Es kam nicht selten vor, daß die Dichte des Kohlenmonoxyds in der Luft hier die zulässigen Werte an milden Sommertagen um bis zu 250 Prozent überstieg. Den Fudschijama konnte man stets nur an einem von neun Tagen sehen. Trotzdem erschrak niemand.« Er zaubert für uns ein Bild seiner kleinen, fleißigen gelben Vorfahren herbei, die in ihrer vergifteten Umgebung fröhlich und unablässig arbeiten. Die Japaner, so behauptet er steif und fest, vermochten ihr Bruttosozialprodukt zu einer Zeit zu festigen und sogar zu steigern, als andere Länder im weltweiten wirtschaftlichen Kampf schon zurückfielen, weil die Bevölkerung wegen der ungünstigen ökologischen Faktoren abnahm. Und so weiter und so fort. Nach einer Weile langweilt uns Edwards Prahlerei. »Hör auf zu prahlen«, sagt Oliver zu ihm, »sonst setzen wir dich der Atmosphäre aus.« Wir haben hier viel triste Arbeit zu leisten, Paul und ich lenken die riesigen Grabmaschinen; Oliver und Ronald folgen mit dem Saatgut. Fast augenblicklich springen seltsame, eckige Sträucher auf. Sie haben glänzende, bläuliche Blätter und lange, krumme Zweige.
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