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Jetzt Plus Minus

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Titel: Jetzt Plus Minus
Autoren: Robert Silverberg
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Eine Woche, seitdem das Ganze angefangen hat. Alle Zeitungen zerfallen. Ich kann auf zwei oder drei Seiten von meinem Exemplar hier und dort etwas lesen, alles übrige ist praktisch hin. Dave Bruce sagt, seine Zeitung sei genauso leer wie die von Bob am Samstag. Mikes Exemplar ist in besserem Zustand, wird sich aber auch nicht mehr lange halten. Die Entropie zerfrißt sie alle. Der Börsenmarkt hat am Nachmittag wieder einen starken Aufschwung erlebt. Gestern sind die Giants von St. Louis geschlagen worden, und ich habe heute beim Mittagessen meinen Gewinn bei Butch Hunter kassiert. Gestern sind Sid und Edith Fischer überraschend in Urlaub nach Florida gefahren. Dort lebt Ediths Schwester, die morgen sterben soll.
    Ich kann nicht umhin, mich zu fragen, ob Edith mit ihrer Schwester doch etwas unternommen hat, trotz der Warnungen von Mike am Thanksgiving Day.
    Jetzt ist also Dienstag abend, der 30. November, und ich sitze mit der ›Post‹ und den Schlußnotierungen zu Hause. Leider kann ich sie nicht mit den Zahlen in meinem Exemplar der morgigen ›Times‹ vergleichen, weil ich die Zeitung nicht mehr habe, sie ist völlig zu Staub zerfallen, wie die von allen anderen, aber ich habe noch die Notizen vom ersten Tag. Und ich freue mich, sagen zu können, daß trotz der schleichenden Entropie alles gut ausgegangen ist. Der Index schloß heute bei 831,34, und das entspricht genau meiner Notiz. Meine fünf Aktien haben allesamt erhebliche Gewinne eingebracht.
    Morgen ist endlich der 1. Dezember, und es wird merkwürdig sein, die Zeitung wiederzusehen. Wie eine alte Freundin, die endlich heimkommt.
    Ich nehme an, daß sich alles ausgleichen muß. Heute morgen vor dem Frühstück ging ich wie üblich hinaus, um die Zeitung zu holen, und sie lag im Gebüsch, aber es war nicht die Zeitung für Mittwoch, den 1. Dezember, obwohl heute Mittwoch, der 1. Dezember ist. Was mir der Zeitungsjunge an diesem Morgen gebracht hat, war die Zeitung für Montag, den 22. November, die ich an jenem Tag gar nicht bekommen hatte.
    Das wäre an sich noch nicht so schlimm gewesen, aber diese Zeitung ist voll von Dingen, an die ich mich überhaupt nicht erinnern kann. So, als habe jemand in die letzte Woche hineingegriffen und alles umgedreht. Obwohl ich die ›Times‹ von diesem Tag nicht gesehen habe, bin ich sicher, daß ich von dem tödlichen Attentat auf den Gouverneur von Missouri gehört hätte. Und von dem Erdbeben in Peru, das zehntausend Menschenleben gekostet hat. Und daß Bürgermeister Lindsay zurückgetreten ist, um Nixons neuer Außenminister zu werden. Vor allem das. Diese Zeitung muß ein Witz sein.
    Aber was ist mit derjenigen, die wir vorige Woche bekommen haben? Was ist mit den Aktienkursen und den Sportergebnissen?
    Wenn ich heute in die Stadt komme, fahre ich als erstes in der Bibliothek vorbei und sehe mir das Archivexemplar der ›Times‹ für den 22. November an. Ich möchte wissen, ob es dem Blatt entspricht, das ich in der Hand halte.
    Was für eine Zeitung werde ich morgen bekommen?
    Ich glaube, ich komme heute gar nicht ins Büro. Nach dem Frühstück ging ich hinaus, um den Wagen zu holen und zum Bahnhof zu fahren, und der Wagen war nicht da, nichts war da, nur grau, alles grau, kein Rasen, kein Gebüsch, keine Bäume, nichts zu sehen von den anderen Häusern, nur grau, wie dichter Nebel, der in Bodenhöhe alles verschluckt. Ich stand auf den Eingangsstufen und wagte nicht, in das Grau zu treten. Ging ins Haus zurück und weckte meine Frau, um es ihr zu sagen. Was bedeutet das, Bill, fragte sie, was bedeutet das, wenn alles grau ist? Ich weiß es nicht, sagte ich. Stellen wir das Radio an. Aber aus dem Radio kam kein Laut, nichts im Fernsehen, nicht einmal ein Testbild, auch die Telefonleitung tot, alles tot, und ich weiß nicht, was vorgeht oder wo wir sind, ich verstehe überhaupt nichts, außer daß das ein sehr schwerer Fall von schleichender Entropie sein muß. Die ganze Zeit muß sich auf irgendeine irre Weise in sich selbst zurückgeschlungen haben, und ich weiß nichts, ich verstehe überhaupt nichts.
    Edith, was hast du uns angetan?
    Ich will hier nicht mehr leben, ich möchte mein Zeitungsabonnement kündigen, ich möchte mein Haus verkaufen, ich will weg von hier, zurück in die reale Welt, aber wie, ich weiß nicht, alles ist grau, grau, grau, alles grau, nichts da draußen außer Grau.

Ein natürlicher Heilungsprozeß
    Der Planet reinigt sich selbst. Das ist das Wichtigste, was man sich merken muß,
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