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Jetzt Plus Minus

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Titel: Jetzt Plus Minus
Autoren: Robert Silverberg
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verweint.
    Mein Gott, mein Gott, sagte sie, ich habe eben erfahren, daß meine ältere Schwester tot ist.
    Wir stellten die üblichen sinnlosen Fragen, war sie denn krank und wo hat sie gelebt und woran ist sie gestorben? Und Edith schluchzte und sagte, ich meine, sie ist noch gar nicht tot, ich meine, sie wird nächsten Dienstag sterben.
    Nächsten Dienstag? fragte Tammy Nesbit. Was heißt das, ich verstehe nicht, wie du das jetzt schon wissen kannst. Und dann dachte sie einen Augenblick nach und begriff, wie wir alle. Oh, sagte Tammy, die Zeitung.
    Die Zeitung, ja, sagte Edith. Und schluchzte noch mehr.
    Edith hat die Todesanzeigen gelesen, erklärte Sid Fischer. Weiß der Himmel, warum, vermutlich nur aus Neugier, und auf einmal schreit sie auf und sagt, sie hätte den Namen ihrer Schwester gesehen. Plötzlich verstorben, Herzanfall.
    Sie hat ein schwaches Herz, sagte Edith zu uns. Sie hat dieses Jahr schon zwei oder drei Anfälle gehabt.
    Lois Thomason ging zu Edith und legte die Arme um sie, wie sie es so gut kann, und sagte, na, na, Edith, das ist natürlich ein schwerer Schlag für dich, aber du weißt, daß es früher oder später so kommen mußte, und die arme Frau braucht jetzt wenigstens nicht mehr zu leiden.
    Aber versteht ihr denn nicht, rief Edith, sie lebt noch, und wenn ich anrufe und sage, geh sofort ins Krankenhaus, können sie sie vielleicht noch retten! Man könnte sie in die Intensivstation tun und auf den Herzanfall gefaßt sein, bevor er überhaupt eintritt. Aber das kann ich doch nicht sagen, oder? Denn was soll ich ihr erklären? Daß ich in der Zeitung von nächster Woche ihre Todesanzeige gelesen habe? Sie wird mich für verrückt erklären und lachen und nichts darauf geben. Oder vielleicht regt sie sich furchtbar auf und fällt meinetwegen auf der Stelle tot um. Was soll ich nur tun, lieber Gott, was soll ich bloß tun?
    Du könntest sagen, daß es eine Vorahnung war, meinte meine Frau. Ein sehr lebhafter Traum, der schrecklich echt gewirkt hat. Wenn deine Schwester auch nur ein bißchen an so etwas glaubt, denkt sie vielleicht, daß es nichts schaden kann, ihren Arzt zu holen, und –
    Nein, fuhr Mike Nesbit dazwischen, so etwas darfst du nicht tun, Edith. Denn man kann sie nicht retten. Auf keine Weise. Man hat sie ja nicht gerettet, als es soweit war.
    Es ist aber noch nicht soweit, sagte Edith.
    Für uns hier ist es schon soweit, sagte Mike, weil wir die Zeitung haben, in der die Ereignisse vom 30. November in der Vergangenheit behandelt werden. Wir wissen also, daß deine Schwester sterben wird und eigentlich schon tot ist. Das steht absolut fest, weil es in der Zeitung steht, und wenn wir die Zeitung für authentisch halten, ist das eine Aufzeichnung wirklicher Ereignisse, die nicht verändert werden können.
    Aber meine Schwester, sagte Edith.
    Der Name deiner Schwester steht schon auf der Totenliste. Wenn du dich einmischst, quält das nur ihre Familie und ändert nichts.
    Woher weißt du das, Mike?
    Die Zukunft darf nicht verändert werden, sagte Mike. Für uns haben die Ereignisse dieses einen Tages in der Zukunft soviel Bestand, wie irgendein Ereignis in der Vergangenheit. Wir können nicht wagen, an der Zukunft herumzumanipulieren, nicht, wenn sie schon abgeschlossen und feststehend von der Zeitung geliefert worden ist. Die Zukunft könnte sein wie ein Kartenhaus. Wenn wir eine Karte herausziehen, sagen wir, das Leben deiner Schwester, dann fällt vielleicht alles zusammen. Du mußt den Spruch des Schicksals hinnehmen, Edith. Sonst weiß kein Mensch, was geschehen könnte.
    Meine Schwester, sagte Edith. Meine Schwester wird sterben, und ihr laßt mich nichts tun, um sie zu retten.
    Daß Edith sich so aufregte, setzte der ganzen Thanksgiving-Feier einen Dämpfer auf. Nach einiger Zeit nahm sie sich mehr oder weniger zusammen, aber sie konnte nicht anders, sie mußte sich benehmen wie eine Leidtragende, und es fiel uns sehr schwer, lustig und dankbar zu sein, wenn sie dauernd ein Schluchzen unterdrücken mußte. Die Fischers gingen gleich nach dem Essen, und wir umarmten Edith alle und sagten, wie leid es uns täte. Bald danach gingen auch die Thomasens und die Harrises.
    Mike sah meine Frau und mich an und sagte, ich hoffe, ihr rennt nicht auch davon.
    Nein, sagte ich, wir nicht, es eilt doch nicht, oder?
    Wir saßen noch eine Weile beisammen. Mike sprach von Edith und ihrer Schwester. Die Schwester ist nicht zu retten, erklärte er immer wieder. Und es könnte für alle sehr
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