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Jesuslatschen - Größe 42

Jesuslatschen - Größe 42

Titel: Jesuslatschen - Größe 42
Autoren: Rüdiger Paul
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Merseburger Raum Frau Esther Heiße. Sie wurde für ihr Wirken mit dem
Bundesverdienstkreuz geehrt. Im Jahr 2003 wurde der ökumenische Pilgerweg
Mitteldeutschland eingeweiht.
    Unterstützt und getragen wird dieses Projekt
von den Kirchen, Ländern, Landkreisen, Kommunen, Kirchgemeinden am Weg, der
Robert-Bosch-Stiftung und vor allem von vielen Ehrenamtlichen Bürgern.
    Die erste Stempeleintragung in den Pilgerpass
erhalte ich aber nicht, wie vermutet vom Pfarrer.
    Nein, den gibt es in Merseburg beim Bäcker,
genauer gesagt im „Café Rahaus “, direkt am Neumarkt.
Die Familie Rahaus hat sich bereit erklärt, sowohl
Schlüssel, als auch den Stempel für die Pilger zu verwahren. Kaum ein Pilger
wird nach den Strapazen des Vortages und der kurzen Nacht, einem frisch
gebrühten Kaffee und duftenden Brötchen widerstehen können. So gesehen ist das
eine recht gute Symbiose. Denn der Bäckermeister begegnet am Abend bei der
Schlüsselübergabe schon seinen potentiellen Kunden vom nächsten Morgen.

Dienstag, 18.04.2006
    Merseburg   -   Naumburg - Köln
     
    Heute ist ein kühler aber sonniger
Frühlingstag. Zu Fuß mache ich mich auf dem Weg zum Neumarkt. Nun stehe ich am
erwähnten Bäckertresen und bitte um die erste Eintragung in den Pilgerpass. Die
erstaunte Mimik seitens der Verkäuferin spricht Bände. Als ich meiner Bitte
etwas Nachdruck verleihe, ist die erstaunte Frau auf dem besten Wege mir einen
normalen „08/15“ Verkaufsstellenstempel in den noch jungfräulichen Pilgerpass
zu drücken. Jetzt erwachsen mir echte Zweifel, der Verkäuferin zum Glück auch.
    Zum Zwecke der Aufklärung geht sie zur
Backstubendurchreiche und ruft laut: „... wisst ihr etwas von einem
Pilgerstempel?“ Zurück tönt es mehlig: „Ja, der liegt vorn im Fenster.“ Es geht
doch, nun sind es nur noch ein paar Handgriffe und ich bin als Jakobspilger
abgestempelt. Für das heutige Abschiedsmahl hat Gabi im Fischgeschäft
Jakobsmuscheln bestellt. Etwas enttäuscht sind wir schon, dass diese Muscheln
nur ohne ihre symbolträchtigen Schalen gehandelt werden. Dem Kochbuch zufolge
werden diese Muscheln in ihrer Schale serviert. Zudem möchte ich als äußeres
Kennzeichen der Pilgerreise eine Jakobsmuschel am Rucksack tragen. Aus diesem
Grund erkläre ich dem Verkäufer kurz mein Vorhaben und bekomme von ihm spontan
eine Jakobsmuschel aus der Schaufensterauslage überreicht. Diese unscheinbare
Geste ist für mich in dem Moment einfach wertvoll. Am späten Nachmittag
genießen wir in einer kleinen gemütlichen Runde „Jakobsmuscheln nach Rias- Bajas -Art“ und dazu den passenden Weißwein „ Bechtheimer Pilgerpfad“. Beides dem Vorhaben entsprechend
und dazu noch sehr schmackhaft. Für uns ist das Ganze ein kleines
Abschiedsfest. Alltägliche Sachen erscheinen in nicht alltäglichen Situationen
bewusster, man ist einfach näher bei sich und den Dingen. Klarheit über das
Gewicht der Dinge verschafft nach dem Essen die Personenwaage. In voller Montur
mit Wanderschuhen bringe ich siebenundachtzig Kilo auf die Waage. Der gepackte
Rucksack lässt den Zeiger erst bei zwölf Kilo still stehen. Somit sind ab sofort
in Summe knapp zwei Zentner Pilgermasse unterwegs.
    Die Tür schlägt zu. Wer wird sie wieder
öffnen? Werde ich ein Anderer sein? Jetzt kommt die Angelegenheit ins Rollen.
Mit dem Auto fährt Gabi mich zum Bahnhof nach Naumburg. Ein Intercity soll mich
durch die Nacht von Naumburg über Frankfurt/Main nach Köln bringen. Morgen geht
es dann mit dem Flieger nach Bilbao, dem eigentlichen Beginn der Pilgertour.
    Auf dem Bahnsteig wird noch bevor der Zug
einfährt das typische „Forrest Gump“ Bankfoto aufgenommen. Diese Aufnahmen werden schon seit Jahren wahllos an den
verschiedensten Orten meines Aufenthalts geschossen. Auf dem Foto sieht man
dann nichts als eine Bank und meine Wenigkeit. In Anlehnung an eben diesen Film
„Forrest Gump“. Am Zug überreicht mir Gabi herzlich ein kleines Geschenk und
gibt mir damit ihre Liebe auf den Weg. Die Zeit von der Zugansage bis zur
Abfahrt ist nur ganz kurz in meiner Erinnerung. Es bleibt wenig Zeit für
unseren Abschied. Der „Intercity“ selbst hat eben keinen Sinn für Sentimentalitäten.
Er ist einfach das Werkzeug des Lokführers, und wird den Fahrgästen und somit
dem Fahrplan gerecht.
    Als ein weiteres Handicap erweisen sich die
verspiegelten Scheiben des Zuges. Man kann aus dem Inneren des Abteils zwar
nach außen schauen, aber nicht in die umgekehrte Richtung. So sehe ich
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