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Jesuslatschen - Größe 42

Jesuslatschen - Größe 42

Titel: Jesuslatschen - Größe 42
Autoren: Rüdiger Paul
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sehr alten
Mauer umgeben. Von hier oben hat man einen ungehinderten Blick auf Santiago.
Junge Leute sitzen auf den Mauerresten und Wiesen im Schatten einiger alter
Bäume. Ich werfe meinen Rucksack ab und mache es mir im Gras bequem. Erst beim
genaueren Hinsehen bemerke ich vereinzelte Reste von Grabsteinen. An der
Steinwand hinter mir sind noch Teile von Grüften ersichtlich. So habe ich also
ganz ungewollt meine Ruhestätte gefunden. Wieder kommt mir ein Bild aus der
Ausstellung in den Sinn. Aus Leibern und Schädeln toter Soldaten sprießen junge
Triebe, neue Saat. Der Platz hier ist der lebende Beweis dafür. Ganz
unvermittelt halte ich Ausschau nach der Lerche am Himmel.
    In
der Innenstadt ist alles beim Alten, nur die Gesichter sind andere. Vor dem
Pilgerbüro sitzt locker an eine Säule gelehnt Thomas, der Engländer aus der
nächtlichen Klosterküche von Sobrado dos Monxes . Er ist gerade angekommen. Man braucht es nicht zu
erfragen, das sieht man am Blick. Erleichterung, Freude und Stolz, das sind
wohl die Zutaten dafür. Ich setze mich daneben und höre einfach zu. Thomas
spricht ein flottes Englisch, so dass ich Mühe habe, ihm zu folgen. Es muss ein
gutes Bild ergeben, zwei Gleichgesinnte mit ihren Habseligkeiten auf der Straße
sitzend. Jeder weiß um den Anderen. Die kühlen Kolonnaden verschlingen mich für
ein paar hallende Schritte. Im kleinen Käseladen an der Ecke tauche ich wieder
auf. Wie mit Señor Manoli verabredet, bekomme ich von
der Verkäuferin den Schlüssel für die „Nr. 24“. Sie möchte noch handeln, aber
Herr Manoli hat mir einen Vorzugspreis gemacht und
dabei bleibt es.
    Vorerst
stelle ich dort das Gepäck ab und gehe in die Stadt. Das Zentrum besteht nicht
nur aus der übervölkerten Altstadt. Etwas weiter südlich öffnet sich die Stadt,
die Sicht wird moderner und höher. Nicht unbedingt schöner. In einem Park
bringt ein Jahrmarkt Scharen von Leuten Freude. Die meisten Jahrmarktbesucher
sind Familien mit Kindern, diese Gruppen frohgelaunter Menschen sehen sich
immer und überall sehr ähnlich. Ich selbst habe wenig Interesse an diesem
Rummel, denn Achterbahn bin ich heute Morgen bereits gefahren.
    Ein
bronzener, reichlich verzierter Trinkbrunnen hält erschrocken meine Gedanken
und Schritte an. Er zeigt mir ganz nüchtern, wie selbstverständlich ich schon
wieder an einen Brunnen vorbeigehen kann. Vor Tagen habe ich diese Quellen noch
gesucht und habe mich an deren Frische ergötzt. Also drei Schritt zurück, ich probier es einfach noch einmal, und es tut immer noch gut.
Brunnen sei Dank.
    Nahe
der Kathedrale sehe ich mir in einer als Galerie umgestalteten Kirche, die
Ausstellung „Surrealismus in Galicien“ an. Das schlichte Innere des
Ausstellungsraumes ist ein gelungener Kontrast zu der grellen Ausdrucksweise
und Farbigkeit der Bilder. Am besten gefällt mir ein großformatiges Bild mit
dem Titel „Fiesta“ von der Künstlerin Manja Mulk . Mit
dem Glockenschlag der Turmuhr entdecke ich auf diesem turbulenten Bild ein
Schwert. Die Szenen auf dem Gemälde erinnern mich schon ein wenig an das bunte
Pilgerleben vor dem Portal der Kirche. Der Titel des Bildes wiederum passt eher
zu dem munteren Treiben in Santiagos Altstadtgassen. Das Schwert aber bildet
den Mittelpunkt des Bildes, obwohl es beim ersten Hinsehen dem Betrachter gar
nicht direkt ins Auge fällt.
    Mutterseelenallein
sitze ich im Schlagschatten der Kathedrale auf einer etwa hundert Meter langen
Steinbank. Über deren Mitte spannt sich ein großes Kreuz. Genau unter dem Kreuz
sitzend möchte ich zum Abschluss noch einmal „Forrest Gump“ sein. Auf meinem
Wunsch fotografiert mich ein Argentinier in dieser einsamen Bankpose .
Seitdem ich in Santiago de Compostella bin, hat mich
eine Gelassenheit erfasst, wie ich sie so anhaltend nicht kenne. Ich genieße
einfach und habe keine Angst mehr etwas zu verpassen.
    Über
dem Platz kreuzen etwa fünfzehn Mauersegler pfeilschnell und in gewohnter Weise
„fietschend“ am klaren Himmel. Diese Vögel schließen den weiten Bogen nach
Hause. Danke Gabi, dass du mir Mut gemacht hast und danke für die LIEBE. Der
Weg beweist, es geht nicht ohne. Menschen, welche sie in sich tragen, geben
ständig davon ab. Danke auch für dieses kostbare Tagebüchlein, es ist voll
geworden und hat Momente des Rückblicks und der Freude verewigt. Die Goldene Nuss
nehme ich unversehrt wieder mit zu dir. Seit September 2007 sind wir
verheiratet.
     
    „Wo man aufgehört hat zu
handeln, fängt man
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