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Jesuslatschen - Größe 42

Jesuslatschen - Größe 42

Titel: Jesuslatschen - Größe 42
Autoren: Rüdiger Paul
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das
Ortsschild „Santiago“ auf, das lässt mein Herz höher schlagen. So sind sie die
„Stadtjacken“, ein Monument auf einem Berg kann sie nicht so recht erquicken,
aber ein Ortsschild bringt sie in Fahrt.

    Ich
kann es nicht ändern, es ist einfach so. Der Fotoapparat schießt mit
Selbstauslöser das ultimative Freudebild. Das sieht wie folgt aus: Der angekommene
Pilger, in dem Falle ich, reißt mit beiden Händen den Pilgerstab über den Kopf,
juchzt, schreit laut seine Freude heraus und schaut dabei in die sich selbst
auslösende Kamera. Vielleicht liegt es daran, dass wir uns in jungen Jahren
schon oft vor bedeutenden Ortseingangsschildern abgelichtet haben.
    Als
nächstes begrüßt mich unweit dieser Brücke ein waschechter bronzener
Tempelritter mit dem Malteserkreuz auf Brust und Schild, sein Schwert fest in
der Hand. Da ist es wieder, das Schwert, symbolisch nehme ich das meinige
vorsichtig aus dem Gepäck.
    Gabi,
vielen Dank für den Glauben, den dein Schwert in mir gefestigt hat. Ich weiß,
ich bin bei Leibe noch kein Ritter, aber ich kann stark sein. Mein Wille ist
fest. Ich werde dich heiraten. Das verspreche ich hier an diesem für mich sehr
wichtigen Ort.
    So
gewappnet und innerlich erhellt, trete ich in die Stadt. Noch einmal dürfen
meine Füße so richtig leiden. Denn der Weg vom Ortseingang bis in die
historische Altstadt will kein Ende nehmen. Vorbei an der „ Estación Autobus“, dem überfüllten Hotel „San Jacobus“, einigen langen Häuserzeilen, bis
hinein in die Altstadt. So, und nun wird es wahr, ich stehe hinter der
Kathedrale und erblicke eine illustre Pilgergemeinschaft. Es sind keine
Einzelpersonen mehr, ich begegne Pilgerscharen.
    Hierher
bin ich auf meinen eigenen Füßen gelangt, nun ist es mir wirklich bewusst. Den
vorderen folgend, gelange ich durch die „Porta Peregrina“. Heerscharen von
Pilgern haben das Pilgertor schon durchschritten. Hier sitzt ein Zeitgenosse
mit einem Dudelsack und begrüßt die Neuankömmlinge der gallischen Tradition
entsprechend. Sicher nicht ohne Eigennutz, das spielt aber keine Rolle. Man
wird begrüßt und ist willkommen und nicht einfach nur da.
    Von
innen heraus habe ich mir immer vorgestellt, mit dem „Tor von Kiew“ im Kopf
hier anzukommen. Das Ankommen funktioniert nicht von einem Augenblick auf den
anderen. Es wird noch genug Zeit sein, hier anzukommen. Wie in einem
Mündungsdelta kommt man unwillkürlich auf den Platz vor der Kathedrale, der „ Praza do Obradoiro“.
     
    ICH HAB’S GESCHAFFT!
    Halleluja, Halleluja, Hallelujahahahahahahah ...
    (steht so handschriftlich in
meinem Pilgertagebuch)
     
    Über
den weiten Platz schwingt Harfenmusik. Ich begebe mich in die Mitte des Platzes
und komme einfach an. Der Rucksack fällt von den Schultern. Körper und Geist
bekommen, was sie verdienen. Ihre Freiheit!
    Nie
mehr die Überlegung im Kopf, ob ich es schaffen werde, ich bin da!
     
    Hier
sind erwartungsgemäß die Pilgermasern ausgebrochen. Die meisten Pilger sind
sportlich und bunt geworden. Das Leben in Santiago ist ein vielfarbiges
Gewimmel von Rucksackträgern. Auch solche, die im Moment keinen Rucksack auf
dem Rücken tragen, erkennt man auf den ersten Blick als Pilger. Die Gesichter
sprechen Bände. Bei vielen ist die Wegstrecke sichtbar. Vorherrschender Zustand
auf diesem großen Platz ist Freude, gepaart mit Erschöpfung. Nach einer etwas
längeren privaten Freudenpause es wirklich geschafft zu haben, suchen meine
Blicke den Punkt auf dem Platz, auf welchem ich symbolisch den Pilgerstock
abschlagen möchte.
    Auf
der Mitte des Platzes steht eine Gruppe junger Leute. Sie richten ihre
gesenkten Blicke auf das Pflaster. Es sieht aus, als suchen sie etwas. Ich
glaube eher, sie haben das gefunden, was ich suche. Mit Rucksack und
Pilgerstock pilgere ich mich an diesen Punkt heran. Aus dem Pflaster ist
kunstvoll eine Jakobsmuschel herausgearbeitet. Genau auf dem Punkt haben schon
vor mir tausende Pilger ihren Camino durch das Abschlagen beendet. Gehört habe
ich unterwegs davon, nun stehe ich am Punkt Null. Wenn das der Punkt Null wäre,
dann wäre ich ja rückwärts gelaufen.
    Das
A und O. Also ist die Ankunft hier ein neuer Beginn.
    Minuten
vergehen, bis ich hier die nötige Ruhe finde, ich drehe mich mit dem Gesicht zu
dieser gewaltigen Kathedrale und schlage die Spitze des Stockes auf die Mitte
der Jakobsmuschel. Ich danke dir, treuer Gefährte. Der Stock berührt den Punkt,
ich schließe einfach die Augen und bin mit dem Weg
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