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Jenseits des Mondes

Jenseits des Mondes

Titel: Jenseits des Mondes
Autoren: Heather Terrell
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linken Tunnel eingetaucht war, begann auch er, sich zu verengen. Fliegen war unmöglich, also lief ich zu Fuß weiter.
    Die Luft war so abgestanden, dass ich kaum atmen konnte, aber ich wusste, dass ich es aushalten würde, wenn ich mir nur immer wieder sagte, dass jeder Schritt mich Michael ein Stück näher brachte. Ich rief mir Bilder von ihm ins Gedächtnis – in der Schule, im Odeon bei unserem allerersten Date und hoch oben im nächtlichen Himmel –, als könnte ich so den Weg zu ihm verkürzen und meine schwerfälligen Menschenbeine zur Eile antreiben. Es waren Erinnerungen an meinen, den echten Michael, nicht an den, zu dem er unter Semjazas Einfluss geworden war.
    Als ich das Gefühl hatte, nicht einen Moment länger ohne den Wind und den Himmel und die Sterne aushalten zu können, endete der Tunnel. Der unebene Boden aus gestampfter Erde machte einem Linoleumbelag Platz, und die Wände waren auf einmal gekachelt. Die Luft wurde frischer, und ein vertrauter Geruch – chemisch, aber nicht unangenehm – stieg mir in die Nase. Ein weiches, diffuses Licht war zu sehen, und ich hörte gedämpften Jubel.
    Ich wusste, wo ich war. Im Keller unter unserer Schule.
    Ich stand am Anfang eines langen Korridors. Links von mir drang ein Licht durch die Ritzen einer geschlossenen Tür. Mein Instinkt sagte mir, dass mein armer verletzter Michael, der vielleicht blutete, vielleicht sogar mit dem Tode rang, sich hinter dieser Tür befand. Und Semjaza war bei ihm.
    Ich konnte es gar nicht erwarten, Semjaza für all die Probleme zu bestrafen, die er Michael und mir gemacht hatte – und natürlich für sein Vorhaben, das siebte Siegel zu öffnen. Ich hatte die Nase endgültig voll von den Gefallenen und ihren kranken Endzeit-Spielchen. Zum ersten Mal empfand ich keine Angst vor dem bevorstehenden Kampf, sondern regelrechtes Hochgefühl
    Ich konnte es gar nicht erwarten, Semjaza zu töten.

Fünfundvierzig

    I ch stieß die Tür auf und wurde von schwarzen Haaren, blauen Augen und einem erwartungsvollen Lächeln empfangen. Dort, in den Schatten der unterirdischen Kammer meiner Alpträume, stand Semjaza, der Letzte der sechs Gefallenen.
    Er öffnete die Arme und streckte sie nach mir aus, als wolle er mich an seine Brust drücken. »Ellspeth, mein allerliebster Schatz. Ich habe so lange auf unser Wiedersehen gewartet.«
    Unser Wiedersehen? Wovon redete er? Dass die Gefallenen gern davon sprachen, wie sehr sie sich all die Jahrhunderte nach mir verzehrt hatten, war ich ja allmählich gewohnt, aber ein Wiedersehen ? Musste man sich nicht überhaupt erst mal gesehen haben, um sich dann wieder sehen zu können? Bis jetzt war ich Semjaza immer nur auf dem Spielfeld begegnet, und da hatte er nur Augen für Michael, den Star seiner Mannschaft, gehabt. Insofern konnte man wohl kaum von einem Wiedersehen sprechen.
    Meine Verwirrung stand mir offenbar ins Gesicht geschrieben, denn Semjaza sprach weiter. »Du wirst dich an unsere erste Begegnung nicht erinnern können, Ellspeth, du warst erst wenige Stunden alt. Aber bereits wunderschön.« In seinen Augen schimmerten Tränen der Freude. Sie schienen echt zu sein.
    Was war hier los? Hananel und Daniel hätten Semjaza niemals in meine Nähe gelassen, als ich ein kleines, hilfloses Baby war. Das ergab doch gar keinen Sinn. Es sei denn … es war andersherum gewesen. Es sei denn, er war bereits da, als sie kamen, um mich ihm wegzunehmen. Weil er meine Geburt miterlebt hatte …
    »Seitdem habe ich unermüdlich nach dir gesucht. Und nicht, weil du die Auserwählte bist.«
    Ich wusste, was er als Nächstes sagen würde, noch bevor er den Mund aufmachte. »Du bist meine Tochter, Ellspeth.«
    Ich musste ihn nur ansehen – seine rabenschwarzen Haare und die durchscheinenden blauen Augen, die meinen so ähnlich waren –, um zu wissen, dass er die Wahrheit sagte. Semjaza, Anführer der Gefallenen und Hüter des siebten Siegels, war mein Vater.
    Ich musste schlucken. Vor mir stand der Vater, an den ich, seit ich herausgefunden hatte, was ich war, jeden Tag gedacht hatte. Ich hätte ihn gern so viel gefragt. Ich wollte mehr über meine Mutter erfahren, über ihre Beziehung zueinander und darüber, was nach meiner Geburt mit mir geschehen war. Ich spürte, wie alle Stärke aus mir wich und mein Kampfeswille zu erlöschen begann.
    Das durfte ich nicht zulassen. Ganz egal, wer Semjaza war, mein Auftrag stand fest. Ich musste Michael retten und verhindern, dass das siebte Siegel geöffnet wurde.
    »Wo
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