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Jenseits des Mondes

Jenseits des Mondes

Titel: Jenseits des Mondes
Autoren: Heather Terrell
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überlegen, wie man einen Gefallenen zur Strecke bringen konnte, dessen Spezialgebiet die Kriegsführung war. Erst wenn ich ihn aus dem Weg geräumt hatte, konnte ich weiter nach Michael suchen. Wenn es dann nicht schon zu spät war.
    Wir schossen durch den verwinkelten und überraschend langen Tunnel. Verwirrt stellte ich fest, dass Asael zurückfiel – bis ich plötzlich ein Brennen am Knöchel spürte. Ohne langsamer zu werden, warf ich einen Blick hinter mich.
    Eine Peitsche aus gleißendem Licht hatte sich um meinen Knöchel geschlungen. Asael hielt ihr anderes Ende in der Hand und zog. Wie es aussah, konnte das Schwert aus Feuer viele unterschiedliche Formen annehmen, vor allem in der Hand des Schöpfers der Kriege.
    Das hätte Rafe ruhig erwähnen können.
    Ich griff nach hinten, um mich loszumachen, aber die Peitsche versengte mir die Fingerspitzen. Ich spürte, wie Asael mich unaufhaltsam zu sich zog wie einen Fisch an einer Angelschnur. Ich wusste nicht, wie ich mich von der Fessel befreien sollte.
    Dann war der Tunnel ganz abrupt zu Ende, und ich fand mich auf freiem Feld wieder. Ich fiel unsanft zur Erde, und durch den Aufprall löste sich die Peitsche von meinem Fuß. Ich sprang auf und sah mich um. Unsere Schule war nirgends zu sehen. Im Hintergrund hörte ich das Rauschen der Wellen. Wo waren wir gelandet?
    Doch ich hatte keine Zeit, weitere Mutmaßungen anzustellen, denn im nächsten Moment kam Asael aus dem Tunnel geschossen. Ich schwang mich wieder in die Luft und flog davon, und plötzlich wusste ich, wo wir waren. Die Tillinghast High hatte früher, bevor sie erweitert worden war, auf einem Hügel direkt am Meer gestanden. Dies hier waren die alten Sportplätze. Als Kind hatte ich oft hier draußen gespielt.
    Und das brachte mich auf eine Idee.

Dreiundvierzig

    U m mir erst gar keine Gelegenheit zu geben, irgendwelche Löcher in meinem Plan zu entdecken, schlug ich den Weg zur nahe gelegenen Küste ein. Meine Erinnerung hatte mich nicht getrogen: Es gab hier einen felsigen Strand und darüber eine schroffe Klippe mit einem Felsvorsprung. Ich flog, so schnell ich konnte, doch Asael schien keinerlei Mühe zu haben, mit mir mitzuhalten.
    Den Wind im Rücken und Rafes Anweisungen im Hinterkopf, baute ich meinen Vorsprung vor Asael ganz langsam aus. Ich hörte das Leder seiner Jacke hinter mir im Wind knattern. Ich ließ mich vom Luftstrom über den felsigen Strand hinaus bis aufs offene Meer tragen. Dann flog ich noch eine Weile parallel zur Küste weiter, bevor ich kehrtmachte und auf den Felsvorsprung zusteuerte. Ich zählte darauf, dass mir meine Ortskenntnis einen Vorteil verschaffen würde, wenn auch nur einen winzigen.
    Ich umrundete die spitze Felsnase, die in der Mitte des Vorsprungs senkrecht nach oben ragte, und blieb eine Sekunde lang über dem flachen Plateau daneben in der Luft stehen – lange genug, um Asael Gelegenheit zu geben, mich am Fuß zu packen und zu Boden zu schleudern. Offenbar hielt er nichts von sanften Methoden der Überredung. Vielleicht wäre das von einem Engel des Krieges auch zu viel verlangt gewesen.
    Ich fing den Aufprall mit der linken Hand ab. Das Ergebnis waren eine blutende Handinnenfläche sowie eine Schürfwunde an der Stirn. Dann stemmte ich mich mit meiner unverletzten rechten Hand hoch und kam schwankend auf die Füße.
    Wir standen uns in der Mitte des Felsvorsprungs gegenüber. Dreißig Meter unter uns krachten die Wellen gegen die Klippen. Aus der Nähe betrachtet, war Asaels wunderschönes Gesicht eine böse Fratze. Ich hatte noch nie so viel Angst gehabt, mich noch nie so schwach gefühlt. Aber ich musste standhaft bleiben, sonst würde ich die winzige Chance, die ich hatte, auch noch verlieren.
    »Soll ich dir eine Hand reichen, Ellspeth?«, fragte Asael und lachte höhnisch. Er klang siegesgewiss. Vermutlich hatte er in den letzten Jahrtausenden nur wenige Niederlagen einstecken müssen.
    Bevor ich antworten, geschweige denn fliehen konnte, packte er meine blutige linke Hand und grinste, als ich vor Schmerz zusammenzuckte. Er strahlte förmlich vor Triumph bei der Vorstellung, mich durch die Macht seiner Berührung willenlos zu machen. Es war sonnenklar, dass ihm der Gedanke, er könne keinen Erfolg haben, gar nicht erst in den Sinn kam.
    Als er die Finger tiefer und tiefer in meine Wunde bohrte, bekam ich unfreiwillig einen Einblick in Asaels pechschwarze Seele. Er hatte seine langen Erdenjahre damit verbracht, seinen Zorn auf Gott an den Menschen
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