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Jenseits der Eisenberge (German Edition)

Jenseits der Eisenberge (German Edition)

Titel: Jenseits der Eisenberge (German Edition)
Autoren: Sandra Gernt
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voller Haushaltsgegenstände, bis er eine geeignete Holzschale fand. Diese füllte er mit Brunnenwasser und kletterte dann widerstrebend zurück zu seinem Herrn. Lys brauchte ihn, da war keine Zeit für Verzagtheit.
    „Lasst mich Euch mit den Wunden helfen“, bat er und griff nervös nach dem Hemdsaum. Lys rückte von ihm weg, die Arme schützend vor die Brust gepresst. Ein Ausdruck solch furchtbarer, hilfloser Angst verzerrte sein Gesicht, dass Inur von Grauen geschüttelt von ihm abließ.
    „Was hat man Euch nur angetan?“, fragte er, doch er wusste es. Die Zeichen waren nicht zu übersehen.
    „Lys“, sagte er leise und griff nach den krampfhaft in den Hemdstoff verkrallten Händen, „bitte seht mich an. Ich würde Euch niemals etwas antun, und ganz gewiss nicht so etwas. Bitte, setzt Euch auf, wenn Ihr könnt.“
    Es dauerte einige Minuten, in denen sie beide um ihre Fassung rangen, doch schließlich gab Lys Inurs sanftem Drängen nach und ließ sich hochziehen, in eine sitzende Position. Schweigend reichte Inur ihm ein wassergetränktes Stück Stoff, mit dem Lys sich Tränen und Schmutz vom Gesicht wusch. Die Ketten verhinderten, dass Lys sich das Hemd ausziehen konnte, deshalb wusch er sich mit Inurs Hilfe stückweise, soweit er konnte. Inur stöhnte laut, als er das Brandmal entdeckte.
    „Ihr Götter, wie abscheulich!“, zischte er entsetzt. „Warum nur? Warum hat man Euch das angetan?“
    Und Lys begann zu erzählen, stockend, den Blick abgewandt, die Stimme leer von jeglicher Gefühlsregung, ausgenommen den schmerzbeherrschten Minuten, in denen Inur ihm den Rücken abwusch. Er ließ nichts aus, begann mit Onkars Ankunft in Weidenburg, sprach über die rätselhafte Kette, den langen Weg unterhalb des Eisenberges, Nikors und Ereks Tod, die Wochen als Gefangener, Gast, Berater und Geliebter des Layns, die Verhaftung und allem, was danach gefolgt war; einschließlich seiner Hoffnungslosigkeit, Kirian jemals wiederzufinden und seiner Gewissheit, versagt zu haben.
    Inur lauschte wie gebannt jedem einzelnen Wort und blieb noch eine Weile wie erschlagen sitzen, als Lys bereits verstummt war und sich frierend in seine Decke eingewickelt hatte.
    Schließlich seufzte Inur aus tiefstem Herzen und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
    „Wisst Ihr, was ich zu meiner Frau sagte, als Ihr damals aus meiner Burg abgezogen seid, ohne mir oder meinen Leuten ein Haar zu krümmen?“, fragte er. Verwirrt blickte Lys ihn an.
    „Ich sagte: Die Götter müssen diesen Mann lieben, denn sie haben ihn mit allem gesegnet, was ein Mensch sich nur wünschen kann – Schönheit, Kraft, Mut, ein brillanter Geist und ein großes Herz. Ein solcher Mann kann alles erreichen, es gibt keine Grenzen für ihn.
    Meine Frau hat mich mitleidig ausgelacht, könnt Ihr Euch denken, was sie mir antwortete?“
    Lys schüttelte mit gerunzelter Stirn den Kopf.
    „Sie sagte: Die Götter müssen diesen Mann wirklich hassen, darum haben sie ihm von allem mehr gegeben, als einem einzelnen Menschen zustehen sollte. Dieser Mann wird im Unglück leben und jung sterben, denn niemand kann ihn ansehen und achtlos die Schultern zucken. Die einen werden ihn anstaunen und in Ehrfurcht versinken, viele werden ihn fürchten. Einige wenige werden ihn lieben, der Rest wird sich in Neid, Hass oder Gier auf ihn stürzen und versuchen, ihn mit allen Mitteln zu unterwerfen. Sie ist eine kluge Frau, und sie hatte recht. Es ist ein Wunder, dass Ihr so lange überleben konntet, ohne Opfer von noch mehr als nur gewöhnlicher körperlicher Gewalt zu werden, die Euch doch schon so hart gezeichnet hat.“
    Stumm verbarg Lys sein Gesicht zwischen den Knien und flüsterte: „Und Ihr, Inur? Was empfindet Ihr für mich?“
    „Ehrfurcht und Mitleid, Herr. Ich weiß, Ihr wollt nicht bedauert werden, aber ich kann das nicht verhindern. Dennoch, die Ehrfurcht überwiegt.“
    Lys schnaubte nur verbittert. Eine Weile blieben sie so in unbehaglichem Schweigen sitzen, bis Lys plötzlich den Kopf hob und Inur scharf anblickte: „Was macht Ihr eigentlich hier in Irtrawitt?“
    Schnell erzählte Inur, was sich in den vergangenen Wochen alles zugetragen hatte und schloss damit, dass Kumien ihn ausdrücklich hierher in den Hof geschickt hatte.
    „Ihr wart also schon hier, während ich noch …“, murmelte Lys nachdenklich. Ein wenig von seiner gewohnten Energie schimmerte in seinen Augen, wofür Inur dankbar war.
    „Er muss die Boten bereits zu Euch geschickt haben, als Maruvs
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