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Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein
Autoren: Manfred Böckl
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vernagelten Büchs’n nach bist!«
    Damit wippte die Spielhahnfeder weg; besiegt blieb Johann Pföderl zurück, besiegt einmal mehr vom Widersacher, und konnte nichts machen gegen den anderen, gar nichts; konnte die Schande und die Erniedrigung bloß stumm hineinfressen in sich.
    Im 75er Jahr dann ein weiteres Schlaglicht: Johann Pföderl hockte in einer Rottacher Taverne und soff, weil bei den kürzlich erfolgten Wahlen zum bayerischen Landtag die Patriotenpartei Einbußen erlitten hatte und die Liberalen ganz schändlich hochgekommen waren. Soff auch, weil der Jennerwein nach wie vor sein Unwesen trieb, weil er gefeit schien seit seiner Rückkehr, weil ihm weder von der Tegernseer noch von der Schlierseer Seite aus beizukommen war. Als der Jäger schon halb im Tran war, kam auf einmal der andere zur Tür herein.
    Schien den Jagdgehilfen gar nicht zu sehen, tat aber gleich schön mit der Kellnerin. Wickelte sie um den Finger, und der Pföderl mußte plötzlich auch noch an die Agatha denken, die seit den verhinderten Schüssen öfter instinktiv gegen ihn spöttelte. Einen förmlichen Sturztrunk tat der Dunkle da in seinem quälenden Ärger; mit der Bedienung schnapselte jetzt der Wilderer, der hundshäutene, und auf einmal begann er auch noch politisch zu werden. »Das schwör’ ich dir«, versicherte er der Reschen, die Hand auf ihrem Schenkel, »daß es bald gar keine Patrioten mehr gibt in Bayern! Hin müssen sie werden, die Sauteufel, weil sie es immer bloß mit dem Herrscherhaus und den Pfaffen halten! Weil sie uns in den Krieg gehetzt haben und den nächsten auch bald vom Zaun brechen werden! Weil sie von einem Vaterland faseln, das doch nur für sie allein, für die Großkopfeten und Schmerbäuchigen, da ist! Weil sie kein Herz haben für uns Kleine! Weil sie uns ein Reich aufgedrückt haben, das uns armen Frettern bloß im Nacken sitzt!«
    Seinen Stamper leerte der Girgl, fuhr fort: »Nach mir wenn’s ginge, dann würden wir die Revolution noch heut haben! Eine sozialistische vielleicht, direkt aus der Wut heraus! Von dir und mir gemacht, Resi! Die Adligen und die Klerikalen, die täten wir dann gleich aufhängen! Und die Jäger« – erst jetzt gönnte der Girgl dem Tegernseer einen scharfen Blick – »würden auch davongejagt! Weil sie Büttel sind, feige Handlanger der Obrigkeit, nichts sonst, und weil sie den Armen keinen Bissen Fleisch gönnen und dem Wildschützen seinen Spaß nicht…«
    Voll ins Maul, gegen den schiefen Zahn krachte dem Sprecher da die Faust des Dunklen. Die Resi schrie auf und floh, die Raufer verklammerten sich, würgten sich gegenseitig über dem zusammenbrechenden Tisch. Droschen aufeinander ein, traten, bissen sogar, zogen eine blutige Trümmerspur quer durch die Gaststube und dann durch den Fletz in den Hof hinaus. Hätten sich womöglich umgebracht, im Haß, in der irrsinnigen Wut, wenn nicht zuletzt der Wirt und der Knecht eingegriffen hätten. Trotzdem blieb der Hans schwer angeschlagen in der Mistrinne liegen, dem Girgl hing eine Braue zerrissen übers Auge; er blutete wie eine gestochene Sau, konnte außerdem bloß noch hinkend das Weite suchen.
    Und das Schlägern, das Sich-blindwütig-ineinander-Verbeißen setzte sich fort ins 76er Jahr hinein. Nach wie vor zog der Girgl mit dem Stutzen los; nach wie vor belauerte der Hans ihn und faßte ihn dennoch nicht, und immer wieder gerieten sie aneinander. Georg Jennerwein freilich hatte zumeist das Ansehen und die Ehre davon, während dem Johann Pföderl im Regelfall nichts als der Spott und die Verachtung blieben. Für das dumpfe Rebellieren des Volkes gegen eine aufgepfropfte, widernatürliche Obrigkeit, ein verhaßtes Reich dazu stand der eine, für das Gedrückt- und Gegängeltwerden, für die Schuld an der Armut und an der Not der andere. Und wenn es in diesem Jahr 1876, in dem der bayerische Gulden durch die Reichsmark ersetzt wurde und die Armen wieder nichts davon hatten, während der König eine Apanage von mehr als vier Millionen zugestanden bekam, zu neuerlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Jennerwein und dem Pföderl kam, dann mußte sich der Jäger oft sehr allein fühlen, der Wildschütz aber brauchte sich ums Angefeuertwerden, um den späteren Schutz auch vor etwaigen Nachstellungen durch das Gesetz nicht zu sorgen.
    Noch mehrmals steckte Johann Pföderl Prügel ein, oder er mußte sich anderweitig demütigen lassen in diesem Jahr; schon gar nicht mehr auf die Tegernseer Kirchweih traute er sich im Herbst
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