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Jeden Tag, Jede Stunde

Jeden Tag, Jede Stunde

Titel: Jeden Tag, Jede Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natasa Dragnic
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Entscheidung, sich von den Freunden doch nicht zum Ausgehen überredet lassen zu haben. Man klopft sich beidhändig auf die Schultern und überlegt sich schon, wie man am nächsten Tag die Freunde aufziehen könnte. Also lächeln die Erwachsenen, am Fenster stehend, und warten, ohne tatsächlich etwas zu erwarten.
    Wenn die gruselige, Angst einjagende Musik dann doch einsetzt, überraschend und hinterlistig, wenn die Kinder dann doch den Mund aufmachen und ganz ernst und nachdenklich die erste Frage stellen, fliegt den Erwachsenen das Haus um die Ohren. Und kein Regenbogen ist in Sicht. Und keine roten Zauberschuhe. Und keine böse Hexe ist tot. Weder im Osten noch im Westen.
     
    Es ist Mitte September. Und Dora hört die Antworten heute nicht zum ersten Mal. Sie stellt auch die Fragen nicht zum ersten Mal. Sie hat eigentlich schon alles verstanden. Und nichts. Die Worte hat sie schon vor drei Monaten verstanden. Aber sie haben so wehgetan, dass sie davongelaufen ist. Sie hat Luka malend neben seinen Sonnenschirmen gefunden, damals, Mitte Juni, eben war das Schuljahr zu Ende gegangen, hat sie sich neben seinen Klappstuhl gesetzt und wortlos geweint. Dann hat Luka ihr im Milchrestaurant ein Schokoladeneis gekauft und sie danach, nachdem sie das Eis aufgegessen und den Mund abgewaschen hatte, zum ersten Mal gemalt, und sie hat alles vergessen. Bis zum nächsten Mal. Damals aber, nachdem das Bild fertig war, hat sie mit dem Finger in die Höhe gezeigt.
    »Siehst du, ein Cockerspaniel, der mit dem Schwanz wedelt, siehst du?!«
     
    Luka liegt auf dem glatten Stein unter ihrem Felsen und seine Beine baumeln im Wasser. Er wartet auf Dora. Neben ihm sein Zeichenblock und Malstifte. Über ihm Wolken. Er will sie nicht ansehen. Es ist ein Spiel für zwei. Er gibt sich große Mühe, den glatten Stein unter sich zu vergessen. Die toten Möwen. Er versucht, genauso wenig an sie zu denken wie an die toten Krabben oder Käfer, die Dora und er immer wieder ins Meer geworfen haben. Wie eine Art Frühjahrsputz. Das ganze Jahr hindurch.
     
    Dora liegt auf noch ihrem Bett, in noch ihrem Zimmer und vergräbt den Kopf in noch ihr Kissen. Diesmal ist sie nur in noch ihr Zimmer geflüchtet. Als hätte sie Angst gehabt, die Kraft hätte nicht bis zum Strand geschweige denn bis zum Felsen gereicht. Die Regale sind leer. Der Schrank ist fast leer. Ihre Bücher sind in den Kisten. Die Kisten sind in der Garage. Ihre Sammlung mit den ungewöhnlich geformten Steinen befindet sich auch in einer Kiste. Einer anderen Kiste. Auch diese Kiste ist schon in der Garage. Die Bilder. Die getrockneten Pinien-und Zypressenzweige. Die Muschelketten, die Luka für sie gemacht hat. Die bemalten Gläser. Die Puppen. Alles weg. Ihr Bettlaken ist noch da. Ein welliges Blaugrün. Wie das Meer an der Stelle, wo sie mit Luka im letzten Sommer getaucht ist. Sie hat keine Angst gehabt, sie hat Bewunderung in Lukas Augen gesehen. Sie hat seine Hand gehalten und ihn hinter sich hergezogen, immer tiefer. Ihr Herz wäre beinahe explodiert, aber vor Freude und Glück und dem einzigartigen Gefühl der Vollkommenheit. Dora hat darüber schon gelesen. Sie liest viel, ihr Lieblingsbuch ist Der Zug im Schnee . Sie mag Mato Lovrak und hat schon alle seine Bücher gelesen. Das Gefühl der Vollkommenheit, das einen völlig umhüllt und erfüllt, so wie wenn sie eine große Schüssel Schokoladenpudding ganz alleine aufisst oder im Winter in der Badewanne in sehr heißem Wasser liegt und dabei mit geschlossenen Augen eine Schallplatte hört – sie hat alle Märchen auf Schallplatten! – oder wie als sie damals den wunderbaren Stein gefunden hat, der die Form eines verrückt gewordenen Schmetterlings gehabt hat. Sie hat ihn Luka geschenkt, auch wenn er keine Steine sammelt. Er hat ihn in ein Glaskästchen gelegt und dieses auf seinen Nachttisch gestellt, neben ein Bild von ihm und Dora auf ihrem Felsen, mit einer weißen, kuscheligen Wolke im Hintergrund. »Ein Delfin!«, hat sie geschrien. »Nein, ein Torhüter, der gerade zur Seite springt«, hat er gemeint. Dora lächelt bei der Erinnerung. Wie kann jemand nur so falschliegen. Sie wundert sich in noch ihrem Kissen über Luka und spürt gar nicht, dass das Kissen immer nasser wird.
     
    Luka liegt auf dem glatten Felsen und seine Beine baumeln im Wasser. Er wartet auf Dora. Neben ihm sein Zeichenblock und Malstifte. Die Sonne hängt schon ganz tief über dem Meer. Es ist nicht sehr spät. Es ist aber schon September.
     
    Dora

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