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Jeden Tag, Jede Stunde

Jeden Tag, Jede Stunde

Titel: Jeden Tag, Jede Stunde
Autoren: Natasa Dragnic
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liegt auf noch ihrem Bett. Sie versteckt sich vor der Welt. Mama klopft an und ruft leise ihren Namen. Dora! Dorice! Dann nichts mehr. Dora weiß, das ist das Ende. Nichts mehr wird es geben. Kein Meer. Keine Wolken. Keine langen Tage am Strand. Ihre Finger unter dem Kissen krampfen sich um das Bild, das Luka von ihr gemalt hat. Ihre schwitzende Hand verschmiert alles. Alles wird unklar. Wie bei Nebel am Meer.
     
    Luka liegt auf dem glatten Felsen und seine Beine baumeln im Wasser. Er wartet auf Dora. Er hätte gern ein Eis jetzt. Erdbeer und Zitrone, natürlich, keine Schokolade. Er lächelt. Auf keinen Fall. Nur noch seine rechte Wange wird von der Sonne gewärmt.
     
    Kein barfüßiges Herumlaufen mehr. Keine geschenkten Eiskugeln. Keine bekannten Gesichter. Keine runden Lutscher. Sie weiß, das Bild ist verschmiert. Es ist zu spät. Nichts kann man mehr retten und niemanden. Und wenn sie jetzt sterben würde, würde es ihr nichts ausmachen.
     
    Luka liegt auf dem glatten Felsen und seine Beine baumeln im Wasser. Er wartet auf Dora. Sein Kopf schmerzt ein wenig. Es ist keine bequeme Lage. Er will nicht. So tun als ob. Als hätte er keine Angst.
     
    Keine Strandspiele mehr. Keine mit Kuchen belohnten Besuche bei Tante Marija, der tollen Bäckerin. Die für sie, und nur für sie, Schokoladenkuchen gebacken hat, der fast schwarz war, mit viel Schokoladencreme und Schokoladenglasur. Kein Hafen. Keine Schiffe. Nichts mehr wird man auf dem Bild erkennen können. Zerstört. Völlig. Alles.
     
    Luka liegt auf dem glatten Felsen. Als ob nichts wäre. Gar nichts. Nie wieder.
     
    Kein Felsen und keine Höhle. Kein Versteck. Kein geheimes Zuhause. Tote Krabben und Käfer. Wer kann das ertragen.
     
    Luka liegt auf dem glatten Felsen. Wie auf einem anderen Planeten. Auf dem nichts mehr wahr ist. Der ab heute vergessen wird. Vergessen werden muss. Als hätte es ihn nie gegeben. Solange er noch wartet, lebt er noch. Noch atmet er. Nicht einmal zu zählen fällt ihm ein.
     
    Du bist noch so jung, nicht einmal sieben Jahre alt bist du, sagt die Mutter.
     
    Es ist vorbei, das Warten. Kein Luka mehr.
     
    Als ob er tot wäre. Und sie auch. Und die ganze Welt. Tot. Tot. Tottottottottottottottottottottottot.

4
    Luka ist sehr aufgeregt: Es ist seine erste Ausstellung. Zwar lediglich in der Schule, aber das ist ihm egal, seine erste Ausstellung ist es trotzdem. Frau Mesmer, die Kunstlehrerin, hat alles organisiert. Sie hat sich Zeit genommen, hat seine Bilder, seine vielen Bilder, die mit dem Schulunterricht kaum etwas zu tun haben, angesehen, sortiert, aussortiert, zurückgelegt, wieder herausgeholt, die Brille von der Nase genommen, die Bilder auf Armlänge gehalten, weggelegt, geschwiegen. Schließlich hat sie zwanzig Aquarelle und fünf Ölbilder ausgesucht und auf die Seite gelegt. »Wunderbar«, war alles, was sie gesagt hat, bevor sie die Augen geschlossen und tief und innig geseufzt hat. »Wunderbar.«
    Am ersten Samstag im letzten Schulmonat ist es so weit. Die ganze Realschule ist da, die Eltern, der Bürgermeister, Verwandte, der Parteichef, Freunde. Sogar die alte Hebamme Anka, mit dicken Brillengläsern und Gehstock, wollte dabei sein. »Du bist immer noch mein Junge«, flüstert sie ihm zu, als er sie begrüßen kommt. Ein Journalist aus Split ist auch da. Frau Mesmer hat sich tatsächlich um alles gekümmert. Luka muss nichts sagen, Gott sei Dank. Er muss nur dastehen und lächeln, wenn er will. Frau Mesmer stellt ihn ganz kurz vor, Herr Mastilica, der Schuldirektor, lobt ihn ausgiebig, obschon er mit Worten nicht sehr gewandt ist, der Herr Direktor, er stottert und verspricht sich oft. Aber keiner lacht, jedenfalls nicht hörbar. Sein Gesicht ist rot und wie aufgeblasen, es ist heiß, und man sieht kreisrunde nasse Flecken unter seinen Armen. Er zupft wiederholt an seiner Krawatte, als würde er nicht genug Luft bekommen. Dann ist er aber doch fertig, nachdem er fünf Mal »Und schließlich« gesagt hat. Endlich kann man Lukas Bilder besichtigen. Man kann so viele Runden drehen und sie sehen, sooft man will. Luka steht auf der kleinen Bühne, auf der an Feiertagen manchmal getanzt und vorgetragen und gesungen wird. Er sieht in die Gesichter der Besucher, und er kann sie lesen: »Wunderbar«, sagen sie. Frau Mesmer geht von einer Gruppe zur anderen und redet, erklärt, beantwortet die Fragen. »Ja, das hat er alles ganz alleine geschafft. Einmalig. Ein Talent, das seinesgleichen sucht. Diese Farben. Und noch so
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