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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss
Autoren: Ana Veloso
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Seite ist. Andernfalls hätte sie laut herumgepoltert und meine Eltern geweckt.
    Der Ritt tut mir gut. Die Wege sind vom Regen aufgeweicht, und ich bin mit Schlammspritzern bedeckt, als ich die drei Seen erreiche, aber das ist mir egal. Lu hat mich schon in den Kleidern eines Stallburschen, einer Hure und eines Fischerjungen gesehen, da dürften ihm ein paar Flecken auf meinem eleganten Reitdress nichts ausmachen. Er hat mich sogar schon fast nackt gesehen, fällt mir ein. Nachträglich überkommt mich eine gewisse Scham.
    Ich sehe ihn am größten der drei Seen, jenem, an dessen Ufer kopfüber das kleine Ruderboot liegt. Ein klappriger Gaul steht locker angebunden unter einem Baum und zupft Blätter davon ab. Ich überlege, wie Lu wohl an das Pferd gekommen ist und wie er hierhergefunden hat. Lieber frage ich nicht genauer nach.
    Ich galoppiere auf ihn zu und springe vom Pferd, noch bevor es richtig zum Stehen gekommen ist. Lu und ich fallen einander in die Arme, als seien Jahre vergangen, seit wir uns zuletzt gesehen haben, nicht wenige Tage. Es fühlt sich so wunderbar an, wie er mich an sich drückt, als sei ich sein kostbarster Schatz.
    Als wir uns loslassen, grinst er mich frech an. » Ich musste mich unbedingt mit eigenen Augen davon überzeugen, dass du rudern kannst. Du bist mir noch eine Partie schuldig, erinnerst du dich? «
    Wie könnte ich das je vergessen? Als er mich zur Paquetá-Insel gerudert hat, habe ich ihm gesagt, dass ich ihn rudern würde, wenn er jemals nach Águas Calmas käme. Wie utopisch uns das zu diesem Zeitpunkt erschien– und nun ist er wirklich hier!
    Wir drehen das Boot um, lassen es vorsichtig zu Wasser und steigen hinein. Unsere Schuhe haben wir am Ufer abgelegt, Lu hat die Hosenbeine hochgekrempelt, und ich habe mein Kleid gerafft, sodass ich bis zur Mitte der Waden nass werden kann.
    Ich nehme die Ruder und lege mich ins Zeug. Lu soll nicht denken, dass ich verzärtelt oder schwach bin. Allerdings ist es etwas anderes, ob ich allein im Boot sitze oder wie jetzt in Begleitung. Das zusätzliche Gewicht macht sich schmerzhaft in meinen Schultern bemerkbar, außerdem schwitze ich ganz undamenhaft.
    Â» Lass es gut sein « , sagt Lu schließlich. Aus seinem Blick sprechen Bewunderung und Besorgnis gleichermaßen.
    Ich schaue mich um und stelle fest, dass wir ungefähr in der Mitte des Sees angelangt sind. Weiter wollte ich sowieso nicht rudern. Ich lege die Ruder fort und bewundere wieder Lus Anblick. Seine Augen funkeln im Licht der schräg stehenden Sonne wie Goldstaub und auch seine Haut nimmt einen goldenen Schimmer an. Seine Zähne, die er jetzt bei einem entwaffnenden Lächeln entblößt, sehen in dem braunen Gesicht weißer und makelloser aus denn je, wie aufgereihte perfekte weiße Perlen, und sein schwarzes, glattes Haar glänzt wie Ebenholz. Er ist wunderschön.
    Â» Dir ist ein bisschen warm geworden « , stellt er fest. » Du könntest sicher etwas Abkühlung vertragen, oder? « Mit seinem spitzbübischen Gesichtsausdruck fängt er an, Wasser mit den Händen aus dem See zu schöpfen und mich damit nass zu spritzen.
    Â» Na warte! « , rufe ich aus und will es ihm nachmachen. Doch als ich mich über den Rand lehne, bekommt unser Boot bedenkliche Schlagseite. Es wäre nicht besonders lustig, jetzt zu kentern. Vorsichtig lasse ich mich auf den Boden des Boots sinken, um nicht durch eine ruckhafte Bewegung ein Umkippen über die andere Seite auszulösen. Dabei bin ich Lu sehr nah gekommen, ich knie praktisch vor ihm.
    Er lehnt den Oberkörper nach hinten und zieht mich mit sich, sodass ich jetzt auf ihm liege, auf dem Boden des Bootes. Von fern muss jeder denken, dass das Ruderboot herrenlos auf dem See treibt. Doch ein letzter kurzer Blick nach draußen zeigt mir, dass wir keine Zuschauer haben. Wir sind allein, einzig die Vögel und die Insekten und die sich im Wind wogenden Gräser am Ufer leisten uns Gesellschaft. Das gurgelnde Plätschern des Wassers an der Unterseite des Bootes sowie das warme Licht der Abendsonne umhüllen uns.
    Als Lu mich an sich drückt und unsere Münder sich zu einem leidenschaftlichen Kuss treffen, werde ich von tiefer Zufriedenheit erfüllt. In diesem Kokon aus Geborgenheit und Liebe weiß ich nämlich eines plötzlich mit absoluter Gewissheit: Lu und ich werden einen Weg finden, unsere Zukunft miteinander zu teilen.
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